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Dienstag, 5. Februar 2013

Ip Man - Charakterstudie? Kriegsdrama? Komödie? Kung-Fu!



Vorsicht Klischees!

Ich sehe mir gerne asiatische Filme an. Ein typischer Eastern hat vornehmlich (um nicht "ausnahmslos" zu sagen) Charaktere asiatischer Abstammung, welche im treffendsten Falle auch die typische Mimik und Gestik der asiatischen Schauspiel-Schule (stakkatohaftes Kopfnicken beim Ansprechen einer Person, ruckartiges Händeschwingen oder Reagieren auf verschiedene Situationen, etc.) bis ins Detail ausreizen. Dies trifft auf den Film Ip Man zu (an alle Informatiker: Es heißt nicht "IP-Man"!).
Ein Eastern bietet meiner Meinung nach außerdem eine gehörige Portion Action, sei es Kung-Fu Gekloppe oder bleihaltiges Pistolengewitter. Auch das trifft auf Ip Man zu, jedenfalls ersteres. Ein typischer Eastern beinhaltet jede Menge Humor, selbst wenn die Lacher oft nur einer eigentlich höchst fragwürdigen Synchronisationsleistung zuzuschreiben sind. Beim Ansehen von Ip Man kann man auch mal lachen, mit der Synchro hat das meistens allerdings nicht viel zu tun.
Die Hauptmerkmale eines asiatischen Films - jedenfalls nach meiner Definition - hat Ip Man also. Wieso ist er dennoch in vielen Punkten ein wenig anders im Vergleich zu seinen üblichen Genre-Kollegen? Die Antwort ist recht einfach - er nimmt sich zuerst selbst nicht ernst und dann aber plötzlich doch.


Es folgt ein recht detaillierter Überblick über die Filmhandlung - leider Spoiler behaftet, aber hoffentlich wenigstens unterhaltsam zu lesen.

Worum geht es also und was ist ein Ip Man?
Ip Man ist - wenn überhaupt - in der westlichen Welt eher bekannt unter dem Namen Yip Man, seines Zeichens Lehrmeister eines gewissen Kung-Fu Genies namens Bruce Lee.

Inwieweit der Filminhalt sich mit der Lebensgeschichte des echten Yip Man deckt, vermag ich als ungelernter China-Historiker nicht zu beurteilen, aber man darf guten Gewissens davon ausgehen, dass an der ein oder anderen Stelle leicht übertrieben oder etwas hinzugedichtet wurde. Wenn nicht, dann Hut ab, Yip Man.
Der echte Yip Man - irgendwie knuffig

Im Film ist Ip Man, gespielt von Donnie Yen, ein wohlhabender Kung-Fu Meister und lebt in den 30er Jahren in der chinesischen Stadt Foshan, durchweg als Zentrum der Kampfkunst bekannt. Diese Beschreibung kommt nicht von ungefähr. So wird vom Treiben in der Stadt in der ersten Hälfte des Films kaum mehr dargestellt, als die Hauptstraße, in der sich Kung-Fu Schule an Kung-Fu Schule reiht. Es versteht sich von selbst, dass jede Schule ihren eigenen Obermacker als Lehrer hat, dessen Kampfkunst in der Theorie nicht zu schlagen ist. Diese Figuren sind dabei leicht skurril dargestellt, es sind durch die Bank ziemlich schrullige, alte Männer; Stereotypen, die dem geneigten Zuschauer sofort aus zig anderen Kung-Fu Streifen bekannt sein dürften.

Ip Man selbst aber gibt keinen Unterricht. Er wohnt mit seiner Frau und seinem Kind in einer schicken Villa leicht außerhalb der Stadt. Kung-Fu ist quasi sein Hobby und zwar sein einziges wie es scheint, denn er ist ein wahrer Meister des Wing Chun, einer alten chinesischen Kung-Fu Variante. Ip Man ist auch nicht schrullig. Er ist ein gebildeter Neureicher, der in der Stadt hohes Ansehen genießt. Woher der Reichtum der Familie kommt erfährt der Zuschauer nicht. Es ist allerdings klar, dass Ip Man in seinem Leben noch keiner Arbeit nachkommen musste. Woher hätte er sonst auch die Freizeit gehabt, um seine Kampftechnik dermaßen zu perfektionieren? Ip Man macht keinen Hehl aus seinem Status. Er lässt zwar nicht offenherzig den Dicken raushängen, aber angesprochen auf sein Kung-Fu Talent ist er immer nur allzu gern bereit, den Wissensdurstigen eine kleine Lektion mit kostenloser Kung-Fu Moral im One-Liner Format zu erteilen, verpackt in purster Höflichkeit. Dieser Ip Man stößt überall nur auf Gegenliebe für sein Können und seine aristokratische Art. Nur in der eigenen Familie nicht. Der Frau geht das ewige Gekloppe sichtlich auf den Keks, den Sohn schiebt der Papa für eine ordentliche Keilerei nur zu gern aus dem Weg.

BÄM! - Die etwas andere Art der Nackenmassage

Klingt komisch und ist auch so. Ip Man ist nicht der typische Dummbatz, der vom unscheinbaren Kung-Fu-Opa aus Langeweile innerhalb von 2 Wochen zur Kampfmaschine getrimmt wird. Ip Man kann auch so schon lange Kung-Fu. Und zwar sehr gut und das weiß er auch.

Zugegeben, das klingt zuerst mal nicht nach einem typischen Sympathieträger, aber Donnie Yen bringt die Einführungsszenen mit einer solchen erfrischenden Souveränität auf die Mattscheibe, dass man trotzdem in jedem Moment auf der Seite von Ip Man steht. Es verströmt schon eine großartige Coolness, wenn ein Kung-Fu Lehrer der Stadt in der Einleitungsszene des Films bei Ip Man um eine Audienz bittet. In Wahrheit will dieser nämlich einen Trainingskampf ausfechten, um herauszufinden, wie sich seine Technik gegen Ip Man's Wing Chun so schlägt. Leider sitzt die Familie allerdings gerade beim Abendessen, weshalb es leider nicht zu einem Kampf kommen kann. Das stört allerdings keinen von beiden, weswegen Ip Man den Kampfgefährten ruckzuck einlädt, sich seiner Familie beim Essen anzuschließen. Sie schlagen sich also auf Kosten der Nerven von Ip Man's Frau die Bäuche voll, danach lassen sie sich noch mit Tee und Zigaretten bedienen, bis sie beiderseits beschließen: Okay! Ein Trainingskampf soll es sein. Störende Zeugen wie Frau und Kind werden schnurstracks herausbefördert und der Kampf beginnt. Während all dieser Szenen agiert Donnie Yen's Ip Man so höflich und zuvorkommend seinem Gast gegenüber, dass man sich wünschte, selbst mal für ein paar Kung-Fu-mäßige Demütigungen eingeladen zu werden. Denn selbstredend macht der Kung-Fu Meister aus der Stadt keinen Stich gegen Meister Ip. Ohne seinen Gast ernsthaft zu gefährden, zeigt er diesem mit wenig Aufwand ruckzuck die Grenzen auf.

Derartige Handkanten-Tänze gibt’s in jedem Kung-Fu Film? Schon richtig, aber nur selten so klasse choreographiert wie hier. Martial Arts Choreographie von Sammo Hung, sag ich da nur. Der kleine Dicke weiß immer noch, wie’s gemacht wird.

Staubwedel gegen Schwert - für Ip Man eine der leichtesten Übungen

Noch könnte man sagen, die Unterschiede zu den klassischen Eastern seien eher marginaler Natur. Niemand würde etwas anderes behaupten. Konkrete Diskrepanzen schlagen hauptsächlich in der zweiten Filmhälfte auf. Oder besser gesagt: Durch den Kontrast der zweiten Filmhälfte zur ersten. Ist die erste Hälfte noch ein unterhaltsam-lockerer Hongkong-Streifen, erlebt der Film danach einen herben Schnitt. In einem kurzen Texteinspieler wird nämlich darauf hingewiesen, dass China von den Japanern besetzt wurde. Foshan bildet da natürlich keine Ausnahme. Die Stadt wird von den Japanern eingenommen und Ip Man’s bisherige Residenz dient fortan dem örtlichen Japaner-Trupp als Einsatzbasis. An dieser Stelle hätten dem Zuschauer ein, zwei Erklärungen zum historischen Hintergrund dieser tatsächlichen Ereignisse sicherlich nicht geschadet, denn der Schnitt vom bunt-witzigen Kung-Fu zum nun folgenden, trist-grauen Kriegs-Szenario passiert etwas zu plötzlich. Dem chinesischen Publikum wird die eigene nationale Geschichte aber vermutlich geläufiger sein, so dass man darüber auch hinwegsehen kann.

Auf jeden Fall befindet sich das Land, oder besser die Region, mittlerweile unter japanischer Schirmherrschaft und die Bevölkerung – darunter auch Ip Man und seine Familie – werden von den Invasoren in Schach gehalten. Der Kung-Fu Meister lebt nun mit Frau und Sohn in einer notdürftigen Baracke und hat dort wie so viele mit Hunger und Krankheiten zu kämpfen. Sein Image als Saubermann haben die restlichen Bewohner allerdings nicht vergessen, weswegen Ip Man bei der Essensausgabe schon mal bevorzugt behandelt wird. Schlussendlich kommt aber auch er zur Erkenntnis: Ohne Arbeit geht es nicht, weswegen er sein Bewerbungsschreiben notgedrungen beim Kohlewerk abgibt, was mittlerweile von den Japanern geführt wird. Das Vorstellungsgespräch verläuft simpel: ein Mob halb verhungerter Chinesen winkt auf der Straße dem japanischen Laster zu, der als Zubringerdienst zum Kohlewerk fungiert, und die Soldaten auf der Ladefläche hieven dann die Unverschämtesten und Auffälligsten an Bord. Schon hat man den Job.

Die Arbeit selbst stellt sich dann aber nicht wirklich als Vergnügen heraus. Von morgens bis abends müssen die Chinesen echte Knochenarbeit verrichten. Allerdings bekommen sie dafür Reis als Bezahlung und ich denke mir ganz ehrlich: Besser als gar nichts. Reis ist nämlich an allen Ecken und Enden knapp, seit die Japaner die Kontrolle im Bezirk übernommen haben, da wird jede Möglichkeit gern genutzt, um an ein Säckchen Reis zu gelangen. Wie passend, dass der Befehlshaber der in Foshan stationierten Japaner ein großer Kampfkunst-Fan ist. Aus diesem Grund wird im Kohlewerk auch täglich rumgefragt, wer Lust hätte, sich mit den japanischen Karate-Kämpfern zu messen. Den Gewinnern winkt zur Belohnung nämlich ein extra Sack Reis. Klar, dass bei so einem Angebot der Nachschub an Prügelknaben nicht fehlt. Erstaunlich ist nur, dass die Chinesen wirklich die Möglichkeit haben, gegen die Japaner zu gewinnen! Und nicht nur das – wer ehrlich gewinnt bekommt tatsächlich den versprochenen Preis! Es kann aber auch natürlich nach hinten losgehen, wenn man sich als chinesischer Normalbürger dem japanischen General stellt, der – wie soll’s auch anders sein – zufällig ein ganz fantastischer Karate Tiger ist. Ein Schicksal, das zufällig dem einzigen Kumpel Ip Mans zuteil wird, den er im Kohlewerk hat. Etwas im Busch vermutend, meldet sich Ip Man also am nächsten Tag selbst für die Arena-Kämpfe, denn er will ja gern herausfinden, wo sein Freund abgeblieben ist, der am Vortag nicht wieder vom Prügelausflug zurückgekehrt war. Und wenn Ip Man mal Pech hat, dann aber richtig! Kaum erreicht er die Kampfarena, erlebt er auch schon mit, wie ein weiter ehemaliger Freund über den Jordan wandert.

Das hätten die Japaner besser mal bleiben lassen, denn selbstredend fordert Ip Man anschließend persönlich eine halbe Brigade von schwarz begurteten Karatekämpfern auf, sich ihm im Kampf zu stellen. Gleichzeitig, natürlich.

Vorher ...
 
Was dann folgt steht in meiner Liste von Lieblings-Filmprügeleien an erster Stelle, zusammen mit Geniestreichen wie dem Kampf von Jackie Chan gegen Benny "The Jet" Urquidez aus Powerman, der von Tony Jaa zelebrierten Knochenbrech-Orgie im Tom-Yum-Goong Finale und dem Kampf Kung-Fu-Kämpfer gegen Karate-Schule aus Bruce Lee's Fist Of Fury bzw. Jet Li's Remake Fist Of Legend. Donnie Yen zeigt, dass Kung-Fu auch anders geht, als der klassische spaßige Kampfkunst-Tanz, den man aus der ersten Hälfte des Films oder anderen typischen Genre-Kollegen gewohnt ist. In lupenreiner FSK-18 Manier zerlegt er im Handumdrehen die halbe Karate-Staffel - nicht nach dem Motto "Guck mal, ich bin besser als du", sondern eher á la "Guck mal, in welchem Winkel dein Arm absteht".

... nachher

Es versteht sich von selbst, dass der japanische General es nicht auf sich sitzen lassen kann, wenn seine Untergebenen so vorgeführt werden. Erstaunlicherweise tut er aber genau das doch! Ihn fasziniert vielmehr die überragende Technik von Ip Man's Kung-Fu. Neugierig, endlich einen gleichwertigen Gegner gefunden zu haben, organisiert er einen öffentlichen Zweikampf zwischen sich und Ip Man, durch den der Wille der chinesischen Bevölkerung endgültig gebrochen werden soll ...


Da der Film inhaltlich zum Teil als hanebüchener Propaganda-Film mit geschichtlichem und autobiographischem aber schlussendlich substanzlosem Hintergrund daherkommt, dürfte keinen überraschen, wie der Film endet. Außerdem ist der Film rein technisch gesehen Standardkost und schauspielerisch reißt sich keiner ein Bein aus - obwohl man Donnie Yens Coolness deutlich hervorheben muss. Allgemein gilt: Auch wenn Yen selbst kein Unbekannter in der asiatischen Actionfilm-Landschaft ist - der Cast des Films ist unverbraucht und hat offensichtlich Spaß bei der Sache. Das genügt für einen Film dieser Sparte auf ganzer Linie.
Womit Ip Man hingegen ganz eindeutig punktet sind die fantastischen Kampfeinlagen, bei denen alle Beteiligten eine klasse Arbeit geleistet haben. Es passiert nicht oft, dass man einen klassischen Kung-Fu Film zu Gesicht bekommt, der eine ganz eigene Darstellung und Choreographie von Kung-Fu zeigt. Man hat mehr als nur einmal das Gefühl, solche Bewegungsabläufe und Techniken noch nie gesehen zu haben. Auch die Struktur der Geschichte mit den beiden gegensätzlichen Filmhälften macht den Film zu einem bemerkenswerten Vertreter seines Genres und hält das Interesse beim Zuschauer hoch genug, damit er nicht nur die Minuten zur nächsten Prügelorgie zählt. Dabei kann sich der Film nur nicht entscheiden, was er schlussendlich sein möchte, denn für einen Spaß-Film ist er nicht lustig und für ein Kriegsdrama nicht dramatisch genug. Einen interessanten Aufhänger für die großartige Action bildet der inhaltliche Rahmen aber allemal.

Allen Freunden von Handkanten-Action kann ich den Film also nur wärmstens empfehlen. Wer mal wieder einen echt guten Kung-Fu Film alter Schule sehen will, sollte sich diesen Streifen nicht entgehen lassen!
Alle anderen, die eine differenzierte Auseinandersetzung mit der chinesischen Besatzungsgeschichte oder sogar ein charakterbasiertes Biopic über Bruce Lees Lehrmeister suchen, sind hier dann doch an der falschen Adresse.

Persönliche Bewertung: 7 von 10 Backpfeifen