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Mittwoch, 30. Juli 2014

Believe the hype




Wer von unserer ehemaligen Studententruppe erinnert sich daran, als wir vor Jahren zum Start von Tony Jaa's  Muay-Thai-Feuerwerk "Tom Yum Goong" spontan beschlossen haben, ins 50 km entfernte Villingen-Schwenningen zu gurken, weil dort weit und breit das einzige Kino war, das sich getraut hat, so einen "Nischenfilm" ins Programm aufzunehmen? Nun, was soll ich sagen. Das gleiche ist mir gestern passiert.
 
Und wie damals war es ein Spontan-Kinobesuch, den ich auch in einigen Jahren noch in guter Erinnerung behalten werde.


Viel habe ich im Vorfeld zu "The Raid 2: Berandal" gelesen und eigentlich war alles davon zu aufregend um wahr zu sein. Ich habe deshalb krampfhaft versucht, meine gigantische Erwartungshaltung auf ein gesundes Maß zu reduzieren, aber das hat nicht so wirklich geklappt. Als im Kino das Licht aus- und der Film losging saß ich also quasi schon auf heißen Kohlen, aber um es kurz zu machen: Alles was ich vorher gelesen habe hat sich bewahrheitet, egal wie euphorisch diese Berichte auch gewesen sein mögen.
Ich falle deshalb besser gleich mit der Tür ins Haus:

"The Raid 2" ist vermutlich der beste Actionfilm, den ich jemals gesehen habe.

Nach so einem gewagten Statement sollte man vielleicht versuchen, etwas näher auf den Inhalt des Films einzugehen. Worum geht es also?
Wer „The Raid: Redemption“ gesehen hat, kennt auf jeden Fall schon mal den Protagonisten Rama (Iko Uwais), seines Zeichens Polizist in Jakarta. Im vielfach (zurecht) gelobten Vorgänger war er Mitglied einer Polizeieinheit, deren Aufgabe es war, ein von einem Gangsterboss besetztes Hochhaus zu stürmen. Korrupte Machenschaften aus den eigenen Reihen machten dem Vorhaben damals einen gehörigen Strich durch die Rechnung, der Polizeieinsatz verkam zum Fiasko und außer Rama hat kaum einer das Blutbad überlebt.

„The Raid 2: Berandal“ setzt nur knappe zwei Stunden nach den Ereignissen des ersten Teils an. Eine Einheit von internen Ermittlern will einen wirksamen Schlag gegen die ausufernde Korruption bei der Polizei in Jakarta führen und versucht, Rama undercover in die Gangsterbanden der Stadt einzuschleusen, denn wie sich herausstellt war Tama (besagter Oberbösewicht aus Teil 1) zwar ein mächtiger Gangsterboss, aber keineswegs das größte Tier in Jakartas Unterwelt. Diese wird von zwei Verbrechersyndikaten beherrscht, die sowohl bei Politik als auch Polizei großen Einfluss genießen. Rama nimmt den Auftrag aufgrund persönlicher Motive an und verstrickt sich zusehends tiefer in ein Netz aus Machtgier, Verrat und Gewalt. Seinen eigentlichen Auftrag immer weiter aus den Augen verlierend kämpft er um sein Leben, als zwischen den beiden Syndikaten und einer dritten Partei, die sich nicht so ganz an die Regeln halten will, ein brutaler Bandenkrieg entbrennt.

Polizist Rama ist in "The Raid 2" undercover unterwegs
„The Raid 2“ ist ein Actionfilm in Verkleidung eines typischen Gangster-Epos, der mit einer Laufzeit von monumentalen zweieinhalb Stunden aufwartet und in dieser Dauer den Charakteren im Film als auch dem Zuschauer im Kinositz vieles abverlangt. Neben den fantastischen Kampfszenen war in meinen Augen die große Stärke des ersten Teils die Simplifizierung der Hintergrundgeschichte, die nichts weiter bereitstellt, als den Rahmen für ein ausuferndes Action-Fest, sowie die Komprimierung der Szenerie auf ein einziges Gebäude. Somit wurden Spannung und Action auf einen Nenner gebracht und keine Nebenkriegsschauplätze störten das Tempo des Films. Wenn mich im Vorfeld von „The Raid 2“ etwas skeptisch hat werden lassen, dann ob das Öffnen dieses Grundkonzepts den Film nicht unnötig belastet und das Augenmerk von der Hauptzutat Action ablenkt.
 
Diese Sorge war gänzlich unbegründet. Der Film schafft es für einen Actionfilm sensationell, eine Actionszene an die andere zu hängen und dazwischen eine düstere, bedrohliche Atmosphäre mit gefährlichen Charakteren sowie deren skrupellosen Motiven aufzubauen und dabei ständig die Schauplätze zu wechseln. Der Wechsel zwischen brachialen Kampfszenen auf der einen und Figurenentwicklung und Handlung auf der anderen Seite ist dabei nahtlos. Beide Komponenten steigern sich im Laufe des Films mit jeder neuen Szene. Das Pacing ist vorbildlich, ich habe mich keine Sekunde gelangweilt.

Ganster Bejo (Alex Abbad) kocht sein eigenes Süppchen im Bandenkrieg
Die Story hat dabei ein besonderes Lob verdient. Ich möchte hier eine kleine Lanze brechen. Wenn der Film mit „Der Pate“, „Internal Affairs“ oder ähnlichen Gangsterballaden verglichen wird, so bedeutet es nicht, dass „The Raid 2“ ein oscarreifes Drehbuch hat. Das hat er nicht. Aber er schafft es wie vielleicht kein anderer mir bekannter Actionfilm, eine Geschichte einzuweben, die eine ähnliche Stimmung aufbaut wie die oben genannten Beispiele. Ohne übertrieben komplex zu sein ist sie gut geschrieben, mehrschichtig, nachvollziehbar und vor allem packend.

Uco (Arifin Putra), Sohn von Gangsterboss Bangun, spielt eine Schlüsselrolle im Konflikt
Dazu führt Regisseur und Drehbuchautor Gareth Evans eine ganze Menge neuer Charaktere ein, die alle ihre eigene Motivation und Überzeugung mitbringen. Anfangs ist es nicht ganz einfach, den Überblick zu behalten, da bis zu einem bestimmten Punkt im ersten Viertel des Films verschiedene Rückblenden und Zeitsprünge benutzt werden, um die einzelnen Parteien vorzustellen. Außerdem kommt es auch vor, dass plötzlich selbst nach über einer Stunde Laufzeit neue Personen die Leinwand betreten und vielleicht keine Hauptrollen ausfüllen aber einen nicht unerheblichen Anteil am weiteren Verlauf der Ereignisse haben. Denn jede ihrer Handlungen zieht die Figuren tiefer in einen Strudel aus Gewalt, bei dem nach kurzer Zeit schon klar wird: Hier gibt es für niemanden ein Entrinnen auf dem Weg zum unausweichlichen Finale Furioso.

Das bringt mich zum eigentlichen Hauptmerkmal des Films: Die Action.

War der erste Teil schon ein großartiger Martial-Arts Film mit toll inszenierten Schusswechseln, schießen Gareth Evans und sein Team in „The Raid 2: Berandal“ den Vogel ab. Was hier innerhalb von 150 Minuten auf der Leinwand abgeht spottet jeglicher Beschreibung. Der Film setzt in Sachen Intensität, Kameraarbeit und Härtegrad mit jeder neuen Szene die absolute Messlatte immer noch ein Stückchen höher, was den Film spätestens nach dem unfassbar gefilmten Showdown in meinen Augen zur absoluten Referenz gegenüber jedem bestehenden oder kommenden Actionfilm macht. Besagter Endkampf müsste eigentlich ins Guinness Buch der Rekorde aufgenommen werden als nichts anderes als der am besten gefilmte Zweikampf auf Zelluloid. Jeder Szene merkt man die Detailverliebtheit der Choreographen an, die die Dreharbeiten des Films auf über 18 Monate ausgedehnt haben, bei einem absolut lachhaften Budget von 4,5 Millionen US-Dollar. Da fragt man sich des Öfteren, wie um alles in der Welt sie das bitteschön hinbekommen haben.

Die Intesität in der Inszenierung der Actionszenen sucht ihresgleichen
Besondere Betonung wird in allen bisherigen Reviews vor allem auch auf den hohen Grad an expliziter Gewaltdarstellung gelegt. Und um Himmels Willen, da wird nicht übertrieben! Ich habe schon so manches Machwerk gesehen, das an der ein oder anderen Stelle an einer Schmerzgrenze kitzelt, aber so sehr ich auch nachdenke fällt mir genreübergreifend kein Film ein, der dermaßen wehtut wie „The Raid 2“.  Die Brutalität wird dabei nicht überzeichnet präsentiert wie bei einem Tarantino beispielsweise, sondern schonungslos realistisch, wobei realistische Darstellung nicht zwangsweise realistische Auswirkung bedeuten muss. Denn selbstverständlich halten die Hauptfiguren des Films ungefähr so viel Prügel aus wie ein handelsüblicher Superheld und haben am Ende immer noch genügend Kraft übrig für den entscheidenden Schädelbruch. Wenn wie hier mit Messern, Baseball-Schlägern, Hämmern, und diversen Schusswaffen hantiert wird, frage ich mich ernsthaft, wie es dieser Film ungeschnitten durch die deutschen Prüfungsinstanzen geschafft hat. Ich habe mich zeitweise regelrecht im Kinosessel gewunden und trotzdem jede Szene fasziniert genossen.

Denn die unglaubliche Intensität der Kampfszenen entsteht nicht in erster Linie durch die offen zur Schau gestellte Gewaltorgie sondern durch die technisch perfekte Inszenierung, in der alles handgemacht ist. Kein mir bekannter Shot im gesamten Film nutzt CGI. Ein wahrer Meilenstein, wenn man bedenkt, was Stuntmen und Filmcrew hier auf sich nehmen, um jedes Detail optimal einzufangen. Egal wie viele Kämpfer in der Szene vorkommen, die Kamera ist immer an der richtigen Stelle. In einer furiosen Verfolgungsjagd wandert die Kamera von einem Autoinneren zum anderen während sich im einen gerade 5 Leute gegenseitig die Schädel einschlagen. Dabei fängt die Sounduntermalung jeden Knochenbruch und jede zerschmetterte Nase und jeden Blechschaden aufs Genauste ein, dass es um einen herum scheppert, als wär man mitten im Getümmel.

Die Verfolgungsjagd inkl. Schlägerei im Auto gehört zu den absoluten Highlights des Films
Außerdem baut Gareth Evans keine einzige Actionszene ein, die den Zuschauer unvorbereitet trifft sondern kostet den Moment des Spannungsaufbaus bis zum Äußersten aus. Man weiß, dass es jeden Moment kracht und trotzdem zoomt die Kamera auf sich ballende Fäuste, auf am Boden schleifende Baseballschläger und langsam gezogene Messer. Wenn der Sturm dann losbricht sitzt auch der Zuschauer am Rande des Kinosessels und krallt sich in die Stuhllehne. Jedenfalls ging es mir so. Ich erinnere mich an eine Szene, vor der ich unbedacht zum Cola-Becher gegriffen habe, in der ein unglaublich abgefahrener Zusammenschnitt vom Auftritt verschiedener Attentäter ablief. Nach ihrer verrichteten Tat habe ich mich ertappt, wie ich meine Finger in den Cola-Becher am immer noch ausgestreckten Arm kralle, ohne auch nur einen Schluck getrunken zu haben.


Auch Yayan Ruhian ("Mad Dog" aus Teil 1) hat einen Gastauftritt - wenn auch als anderer Charakter
Unterstützt wird diese Adrenalinproduktion durch die treibende Musik, die nicht selten an Hans Zimmers Batman-Score erinnert. Vielleicht existieren deshalb die ganzen Vergleiche á la „Der Dark Knight des Actionkinos“ (firstshowing.net). Und in Wirklichkeit ist der Vergleich gar nicht weit hergeholt. Wie Nolan es damals geschafft hat, Kriminalfilm und Superhelden-Movie zu etwas neuem zu kombinieren, ist nun Gareth Evans dieses Kunststück mit Actionfilm und Gangsterepos gelungen.
Wer es schafft, ein Kino zu finden in dem der Film läuft – geht rein. Auch wenn die Blu-ray ein gesicherter Kauf ist, weiß ich nicht, ob die Intensität derart reinknallt wie auf der großen Leinwand. Außerdem möchte ich in Kürze mit Leuten reden, ohne auf Spoiler achten zu müssen! :)

Da ich also so langsam alle Superlative in meinem Wortschatz verpulvert habe, bringe ich zum Abschluss vielleicht noch ein Zitat von Matt Risley (Total Film) an, der den Film folgendermaßen passend zusammenfasst:
"Sumptuously shot, perfectly paced and flat-out exhilarating, The Raid 2 cements Evans as the best action director working today and may not be the best action, gangster, or even martial-arts movie ever made. But as a combination of all three, it's unparalleled in recent memory and offers a tantalising glimpse into a post-Bayhem action-movie world. Brutal, beautiful and brilliant. […] The sheer imagination on show, both in the cinematography and choreography, guarantees each brawl is instantly iconic. Immaculately edited, each traumatic, tensely tactile fight would blur into chaos if not for Evans's pinpoint pacing something that refreshes all the more in the face of modern blockbusting's tendency to start big and just keep getting bigger, until burnout."
Ich widerspreche nur in einem Punkt. Ein besserer Actionfilm fällt mir nicht ein. Klare 10 von 10.

Freitag, 4. Juli 2014

THE SPECTACULAR NOW


Erste grössere Aufmerksamkeit erhielt die Literaturverfilmung The Spectacular Now von Regisseur James Ponsoldt bei dem von Robert Redford ins Leben gerufenen Sundance Film Festival im Jahr 2013. Als Favorit vieler Festivalbesucher erhielten die beiden Hauptdarsteller Miles Teller und die aus The Descendants bekannte Shailene Woodley den „Dramatic Special Jury Prize for Acting“ für ihre Darstellung der beiden Schüler Sutter Keely und Aimee Finecky in ihrem Senior Year an der High School.
Sutter ist in seinen jungen Jahren praktisch Alkoholiker, für jede Party zu haben und lebt einzig für das Hier und Jetzt, für das „Spectacular Now“. Nachdem er von seiner Freundin verlassen wurde und Trost in einer alkoholgetränkten Partynacht gesucht hat, wird er früh morgens in einem fremden Vorgarten von seiner unscheinbaren Mitschülerin Aimee Finecky geweckt. Obwohl Sutter sie bis dahin nie wirklich wahrgenommen hat, kommen sich die beiden näher und wir verfolgen, wie sie sich nach und nach immer mehr aufeinander einlassen. Aimee ist dabei in vielen Bereichen das genaue Gegenstück zu Sutter. Während Sutter beispielsweise spürbare Angst vor der Zukunft und vor Veränderungen hat, weiss Aimee die Bedeutung von Zielen und Träumen im Leben zu schätzen und steht ihrer eigenen Zukunft grundsätzlich optimistisch gegenüber.  
Aimee: “I think it’s good to have dreams. Don’t you?”
Nichtsdestotrotz verbindet sie aber die schwierige Beziehung zu ihren Eltern miteinander. Mit zunehmender Dauer des Films merken wir immer mehr, dass Sutter’s coole Fassade ein verletztes und unsicheres Inneres überdeckt. Es ist wirklich beeindruckend, wie Miles Teller hierbei all die verschiedenen Facetten dieses komplizierten jungen Mannes darstellt. Zu Beginn des Filmes ist er der coole Junge, immer für einen lockeren Spruch zu haben, aber immer irgendwie auch an der Grenze zum Grossmaul und Unsympathen. Sein wahres Talent darf er dann vor allem im letzten Drittel des Films zeigen, wenn seine Fassade aufgrund seiner Beziehung zu Aimee und zu seinen Eltern langsam zu bröckeln beginnt. Irgendwie spürt man, dass Aimee der Rettungsanker sein könnte, den Sutter so dringend benötigt, um nicht als erfolgloser und unglücklicher Alkoholiker zu enden.


 
Die grösste Stärke des Films liegt für mich darin, dass es sich nicht anfühlt, als würde man gerade einen Film und eine fiktive Geschichte sehen. Die Figuren und die Handlung wirken schlicht, authentisch, einfach echt. Als ob genau dieses Paar irgendwann einmal irgendwo genau diese Geschichte erlebt hat. The Spectacular Now ist von der Art der Geschichte, aber auch von der Qualität der Umsetzung, für mich durchaus mit dem von mir verehrten Good Will Hunting zu vergleichen, einem absoluten Film-Klassiker. Wir alle wissen (hoffentlich), dass Good Will Hunting für den von Matt Damon gespielten Hauptcharakter Will überaus hoffnungsvoll mit den Worten “I have to go see about a girl” endet. Ob The Spectacular Now für Sutter ein ähnlich optimistisches Ende bereit hält, steht bis zum Schluss in den Sternen und soll hier auch nicht verraten werden. Gegen Ende des Filmes fällt zwar ebenfalls ein schönes und überaus lebensbejahendes Zitat:
The best thing about now is that there's another one tomorrow.”
Aber wer spricht diese Worte? Sutter? Und bedeuten diese Worte dann, dass Sutter sein Leben in die richtigen Bahnen lenken konnte? Oder doch Aimee? Geht sie optimistisch in die Zukunft, obwohl sie Sutter vielleicht nicht helfen konnte und die beiden fortan getrennte Wege gehen? Ich kann nur jedem empfehlen, es selbst heraus zu finden, denn The Spectacular Now ist beeindruckendes Independent-Kino und eine wunderbare Mischung aus Coming-of-Age, Drama, Komödie und Romance, gepaart mit einem bezaubernden und mehr als überzeugenden Hauptdarstellerduo.  
 
P.S.: Als kleines Goodie darf ich auf eine Mini-Rolle von Bob Odenkirk, unter Breaking Bad Fans besser bekannt als Saul Goodman, aufmerksam machen. „Better Call Saul!“
P.P.S.: Normalerweise bin ich kein Fan davon, in einer eigenen Film-Review auf eine andere Review zu verlinken, aber da der von mir sehr geschätzte Film-Kritiker Roger Ebert leider im letzten Jahr verstorben ist und eine seiner letzten Kritiken den Film The Spectacular Now behandelte, will ich einmal eine Ausnahme machen, zumal auch diese Kritik äusserst positiv ausgefallen ist und sich somit zu grossen Teilen mit meinen Eindrücken deckt: