Zeichentrickfilme sind für Kinder. Hätte ich jedes Mal einen Euro
bekommen, wenn ich mir diesen Satz anhören musste, dann hätte ich jetzt
sicherlich ein grosses rotes Sparschwein voll mit 1 Euro Münzen. Manche Leute
können oder wollen einfach nicht begreifen, dass auch in diesem Genre jedes
beliebige Grundthema aufgegriffen und somit wirklich jedes gewünschte
Zielpublikum angesprochen werden kann. So ziemlich jeder Anime des
hochdekorierten japanischen Filmstudios Ghibli könnte dafür als Beispiel
herangezogen werden. Besonders die Filme von Mastermind Hayao Miyazaki, unter
anderem Das Schloss im Himmel, Prinzessin Mononoke, Chihiros Reise ins Zauberland oder Das wandelnde Schloss, sind dabei so
vielfältig, detailverliebt und komplex, dass Kinder diese Filme gar nicht
vollständig erfassen können. Gleichzeitig, und das ist vielleicht das
Erfolgsgeheimnis des Studio Ghibli, funktionieren die genannten Filme aber auch
auf einer oberflächlichen/kindlichen Ebene so gut, dass oftmals der perfekte
Familienfilm für Klein UND Gross dabei entsteht.So gesehen hätte ich auch jeden
der oben bereits erwähnten Filme diskutieren können, habe mich aber
letztendlich für Porco Rosso
entschieden, welcher einer meiner Lieblingsfilme von Hayao Miyazaki ist. Björn Stöckemann von filmfutter.com
hat in seiner Kritik Folgendes über den Film zu sagen:
„Porco Rosso scheitert auf hohem Niveau und hauptsächlich an seinen eigenen Ambitionen.
Die Mischung aus kindlichem Zeichenstil, albernem Slapstick und einer
tieftragischen Geschichte will nicht ganz funktionieren. Allerdings ist es
gerade diese Ambivalenz, die Porco
Rosso so sehenswert macht. Es ist vielleicht einer der schwächeren Filme
von Hayao Miyazaki, zugleich aber einer der interessantesten. Und selbst ein
schwacher Miyazaki ist immer noch ein sehr guter Film.“
Die Frage ist natürlich berechtigt, weshalb man
mit einem solchen Zitat startet, wo man den Film doch soeben noch in den Himmel
gelobt hat? Nun, zum einen liegen der geschätzte Herr Stöckemann und ich bei
unserer Analyse gar nicht so weit auseinander, einzig in der Bewertung der
Ambivalenz des Filmes scheiden sich dann letztendlich die Geister. Zum anderen,
und auch das erscheint mir durchaus erwähnenswert, kommt er trotz seiner Kritik
zu dem Schluss, dass der Film sehr wohl sehenswert ist. Auch wenn der Film also
von ihm (und vielleicht anderen) nicht ganz so überschwänglich bewertet wird
wie von mir, so lohnt sich ein genauer Blick allemal. Ich für meinen Teil muss
somit nicht sehr viel an oberem Zitat anpassen, um ein persönliches,
vorgezogenes Fazit zu Porco Rosso ziehen zu können:
„Porco
Rosso scheitertüberzeugt auf hohem Niveau und
hauptsächlich anaufgrund seinen eigenen Ambitionen. Die Mischung aus
kindlichem Zeichenstil, albernem Slapstick und einer tieftragischen Geschichte
will nichtvoll und ganz funktionieren. Allerdings ist esEs ist
gerade diese Ambivalenz, die Porco
Rosso so sehenswert macht. Es ist vielleicht einer der schwächerenstärksten
Filme von Hayao Miyazaki, zugleich aberauch einer der interessantesten.
Und selbst ein schwacherstarker Miyazaki ist immer nochauch ein sehr guter Film.“
Die Geschichte ist angesiedelt in Italien gegen
Ende der 1920er Jahre zur Zeit des italienischen Faschismus. Marco Pagot, alias Porco Rosso, Pilot und
Kriegsveteran aus dem ersten Weltkrieg, verdient sich seine Brötchen
mittlerweile als Kopfgeldjäger, wobei er es hauptsächlich auf fliegende Piraten
abgesehen hat. Der Protagonist ist dabei so vielseitig und widersprüchlich wie
der Film selbst. Hässlich, korpulent und aufgrund eines Fluches ausgestattet
mit einem breiten Schweinekopf. Das genaue Gegenstück dessen, wie sich der
Zuschauer einen wagemutigen Filmhelden vorstellen dürfte. George Clooney oder
Brad Pitt könnte man in dieser Rolle zumindest nicht besetzen. Vom Wesen her
zynisch, grob und ein Chauvinist vor dem Herrn, trotzdem aber auch gutmütig und
ausgestattet mit einem grossen Herzen. Gleichzeitig umgibt ihn eine Aura von
Ehre, Mut und alter Fliegerromantik. Porco ist Pilot aus Berufung. Sein Leben,
das merkt man ganz deutlich, ist dann am erfülltesten, wenn der Flugwind um
seine Schweinsnase weht und das nächste Luftgefecht zum Greifen nah ist. Einige
der besten Szenen hat der Film dann auch, wenn sich Porco mit seinem
Wasserflugzeug in die Lüfte schwingt und das tut, was er am besten kann. Dem
Film merkt man dabei Miyazaki‘s Liebe zu Flugzeugen und Luftschiffen, die sich
ein Stück weit durch fast alle seine Produktionen zieht, wirklich an allen Ecken
und Enden an. Man spürt, dass sich Miyazaki hier seiner grossen Leidenschaft
verschrieben hat und dass er mit der Figur Porco‘s ein Leben portraitiert,
welches er selbst vielleicht auch gerne geführt hätte. Nicht, dass er gerne mit
einem Hirnkasten im Schweinsformat umherlaufen würde, aber die Abenteuer, die
Porco in den Lüften durchlebt, werden durch Miyazaki’s Film eindeutig
romantisiert. Die Flugszenen sind dabei oft sehr dynamisch und immer
überzeugend inszeniert und musikalisch treffend untermalt, so dass Porco’s Freiheitsgefühl,
welches er beim Fliegen verspürt, auf das Publikum überschwappt. Zu keiner Zeit
hat man als Zuschauer dabei das Gefühl, dass man das Gezeigte lieber in echten
Bildern sehen würde anstatt in animierter Form.
Marco
Pagot – alias Porco Rosso - in seinem Element |
Nach einem Luftgefecht mit dem berühmten
amerikanischen Piloten Donald Curtis rettet Porco sich und seine malträtierte
Maschine gerade noch nach Mailand, um sein Flugzeug reparieren zu lassen. Dort
trifft er auf die junge Ingenieurin Fio, die ihn dazu bringt, sein Frauenbild
zu hinterfragen und die fortan eine treue Begleiterin an Porco‘s Seite sein
wird. Derweil spitzt sich Curtis‘ und Porco‘s Rivalität immer weiter zu und im
weiteren Verlauf der Geschichte entspannt sich schliesslich ein
halsbrecherischer Showdown um Ehre, Liebe und Freiheit, in dem die beiden
wagemutigen Piloten zwar die Hauptdarsteller sind, aber auch die Luftpiraten,
die italienische Luftwaffe und die Frauenfiguren ein gehöriges Wörtchen mit zu
reden haben. Zur Vielseitigkeit des Films gehört es dabei auch, dass epische
Flugszenen beispielsweise mit einem slapstickhaften Faustkampf kombiniert
werden. Was einige Leute offenbar als störend und inkonsequent empfinden, finde
ich in der Art und Weise, wie es umgesetzt ist, hochgradig unterhaltsam und
kurzweilig. Das muss aber, wie gesagt, jeder für sich selbst entscheiden.
Links: Porco und Donald tauschen Nettigkeiten aus, Rechts: Porco überwindet die anfänglichen Vorurteile gegenüber Fio |
In seinem Grundkonzept unterscheidet sich Porco Rosso mit seinem
realistischen Setting und der historisch eingebetteten Geschichte deutlich von
den meisten anderen Filmen Miyazakis, da bis auf eine offensichtliche,
schweinsköpfige Ausnahme auf sämtliche fantastische und magische Elemente
verzichtet wird. Vielleicht ist Porco Rosso deshalb sogar der Beweis dafür,
dass Zeichentrickfilme viel mächtiger sind, als es Real-Filme jemals sein könnten
(oder zumindest konnten). Zu der Zeit als Porco Rosso entstand, im Jahr 1992,
wäre es unmöglich gewesen, einem Hauptdarsteller eines Real-Filmes mit einer
durchaus ernsten und historischen Geschichte einen Schweinskopf zu verpassen.
Man könnte argumentieren, dass mit CGI und Motion Capture mittlerweile
zumindest die technischen Voraussetzungen dafür bestehen, etwas derartig
Verrücktes heute in einen Real-Film zu integrieren. Dann steht der Filmemacher
aber immer noch vor dem Problem, dass Porco Rosso weder Fantasy- noch
SciFi-Film ist. Deshalb fällt es mir schwer zu glauben, dass eine
Real-Verfilmung funktionieren würde. Oder möchte wirklich irgendjemand
Folgendes sehen?
Gerard Depardieu als Porco Rosso? Verlockend, aber nein... |
Das teils offene Ende schliesslich ist wie der
gesamte Film vielschichtig und sicherlich eher untypisch. Porco’s Handlungen,
wie auch die dargestellte Haltung gegenüber dem Faschismus haben dem Film und Porco
im Übrigen verschiedenste Vergleiche mit Casablanca und Humphrey Bogart
eingebracht. Ob die Vergleiche gerechtfertigt sind, muss jeder für sich selbst
entscheiden und ob dies von Miyazaki tatsächlich beabsichtigt war, kann ich
hier leider nicht beantworten. Dafür kann ich aber allen empfehlen, auch jenen, die mit Miyazaki’s Kunst bis anhin noch nicht vertraut
sind, Porco Rosso eine Chance zu
geben. Es könnte sein, dass der Film den einen oder anderen dann doch
überrascht und das Studio Ghibli ein paar erwachsene Fans dazu gewinnt.
Verdient haben sie es allemal. Somit bleibt eigentlich nur noch eine
Sache zu sagen: „Ich bin lieber Schwein als Faschist.“