Dieses Blog durchsuchen

Donnerstag, 23. Dezember 2010

Verehrte Leser unseres Blogs,

das CinemaRoRoO-Team wünscht allen Cineasten eine besinnliche, frohe Weihnacht und einen guten Start in's neue Jahr.

Wir werden auch 2011 wieder versuchen ein wenig Zeit freizuschaufeln, um mit Euch unsere Film-Leidenschaft zu teilen.

In der ersten Januarwoche, das verspreche ich hiermit, wird der nächste Beitrag kommen. Seid gespannt.

Grüße aus dem Kinosessel,
Oli, Robert & Roman (me)

Samstag, 13. November 2010

Children of Men - Die Hoffnung stirbt zuletzt


Es ist mir ein besonderes Anliegen, allen, die hier über unseren Blog stolpern, und Children of Men noch nicht gesehen haben (und das mögen einige sein) den Film wärmstens zu empfehlen. Warum? Ich halte Children of Men (CoM) in vielerlei Hinsicht für einen der besten Filme unserer Zeit. Eigentlich bin ich absolut kein Freund solch genereller Aussagen, trotzdem stehe ich in diesem Fall voll und ganz hinter meiner Behauptung. Das rührt nicht zuletzt daher, dass mich mit diesem Meisterwerk ein ganz "tragisches" Erlebnis verbindet, das für mich bezeichnend dafür ist, wie unterschiedlich Filme auf - nennen wir es "unterschiedliche Zuschauergruppen" - wirken können. Was jetzt also folgt ist eine durchweg subjektive Erzählung eines DVD-Abends, zu dem ich Kollegen und Bekannte geladen hatte. Das kann ich allerdings nicht, ohne Details des Films preiszugeben, weshalb ich allen, die ihn noch nicht gesehen haben, vom Weiterlesen abraten möchte.

Zum Hintergrund sei erwähnt, dass ich mich nicht mehr genau daran erinnern kann, weshalb ich diesen DVD-Abend damals ausgerichtet hab, jedenfalls saßen eines Abends plötzlich eine Menge Kollegen und deren Freunde auf meiner Couch, deren filmtechnischen Hintergrund ich bestenfalls vage abschätzen konnte. Um es kurz zu machen, fiel nach einer langen und durchaus prophetisch anzusehenden Diskussion (die meisten Anwesenden kannten so gut wie keinen Film meiner Sammlung, selbst "Star Wars" war manchem kein Begriff, kein Witz) die Wahl auf "Little Miss Sunshine" und "Children of Men".

Nach einem eher durchwachsenen Feedback nach dem grandios unterhaltsamen "Little Miss Sunshine" legte ich also mit einer Mischung aus Vorfreude ("gleich kommt einer meiner Lieblingsfilme") und Unsicherheit ("wie der wohl ankommt") die DVD ein.

Bereits die Eröffnungsszene hatte mich wieder total in die dichte Atmosphäre des Films gezogen: Eine in einem Café laufende Nachrichtensendung erhält unverhältnismäßig großes Aufsehen. Während die Gäste die Nachricht der Ermordung des jüngsten noch lebenden Menschen, dem 18-jährigen "Baby Diego", geschockt aufnehmen, drängt sich der Hauptprotagonist - Theo Fang, gespielt von Clive Owen - anteilslos durch die Menge, um sich seinen Kaffee zu bestellen. Er möchte nur schnell raus aus der sich eng an den Tresen drängende, ergriffene Menge. Baby Diego starb im Jahr 2027 im Alter von 18 Jahren. Die Kamera folgt Theo ohne Schnitt aus dem Café auf eine von riesigen Werbe-Videotafeln eingerahmte, gleichzeitig schmutzige, vielbefahrene Straße. Müllsäcke säumen den Gehsteig, die TukTuk-Fahrer tragen Mundschutz und die Polizisten tragen immer noch ihre Bobby-Hüte. Und während die Kamera um Theo herumwandert, der kurz innehält, um seinem Heißgetränk etwas mehr Geschmack zu verleihen, sehen wir einen alten, roten, typischen Londoner Bus, auf dessen Seite ein Werbevideo - vermutlich für Hundefutter läuft. Wir gewöhnen uns schnell an diese immer nur beiläufigen Hinweise auf die Tatsache, dass wir uns in einer nahen Zukunft befinden, da sie subtil und gleichzeitig realistisch integriert sind. Alles wirkt organisch, glaubhaft, nah, wir stehen jetzt auf dieser Straße, neben Theo. Und dann?

Alfonso Cuarón erreicht mit dieser Anfangsszene so einiges: Zunächst wird der Zuschauer sofort in Kenntnis über die äußeren Umstände des herrschenden Universums gesetzt. Der Hauptcharakter wird zwar wortlos, aber doch in seiner Einstellung und seinem Gemütszustand sehr genau gezeichnet. Farben spielen außerdem eine große Rolle, so dominiert ein gedrückter, blau-grüner, schwerer Ton, als wäre den Farben jegliche Kraft genommen worden, so wie der Tod des jüngsten noch lebenden Menschen der Gesellschaft die letzte Hoffnung nimmt. Die Länge der Anfangsszene schafft außerdem eine Authentizität, die den kompletten Film auch weiterhin auszeichnet, und lässt den Zuschauer wirklich zum betroffenen Betrachter werden, der zwar mittendrin zu sein scheint, aber nichts an der Trostlosigkeit ändern kann. Die so geschaffene Immersion wirft die divergenten Fragen auf: "Was ist hier nur los?" und "Will ich das wirklich wissen?" Doch bevor wir, die Betrachter, uns entscheiden können, ob wir Betrachter bleiben wollen oder uns darauf einlassen, eine Ebene tiefer zu tauchen, zerschlägt die unvermittelte Explosion des Cafés, des Ortes, an dem wir eben tatsächlich gewesen sind, in dem wir so viele erschütterte Gesichter gesehen haben, den wir in der selben Szene zusammen mit Theo verlassen hatten, die Optionen und wir sind mitten drin im Geschehen. Die Explosion wirkt nicht nur real, sie ist es, man kann sie hören, die Erschütterung im heimischen TV-Sessel spüren und ertappt sich eventuell erst etwas später dabei, wie man sich an den Armlehnen festklammert. Und während uns noch die Ohren pfeifen, der erste, so sehr erwartete Schnitt: Schwarzer Bildschirm. "Children of Men".

Und dann, die nächste Überraschung: "He? Versteh ich nich, wieso ist das denn jetzt explodiert?" aus der linken Ecke des Raumes, in dem ich mich eben noch alleine gefühlt habe. Mein Blick wandert zur Seite und ich starre in teils gelangweilte, teils sinnsuchende, teils aber auch - und das verstört am meisten - angewiderte Gesichter. Gesichter, die zu sagen scheinen, "können wir nicht umschalten, ich will keine Nachrichten sehen, ist ja eh immer nur das Gleiche." "Was macht der Film denn da? Ich will mich doch nicht ernsthaft mit seinem Inhalt auseinander setzen müssen, um unterhalten zu werden!" Was soll man antworten? Der Film geht eben erst los, ist schon alle Hoffnung darauf, den Gästen ein intensives, bewegendes und zum Nachdenken anregendes Stück Filmkunst zu ermöglichen, verloren? "Nein, dazu ist der Film einfach zu gut", denke ich, und rate zur Geduld.

Der Film erzählt - ganz unbeeindruckt von den heimischen Vorkommnissen - weiter von einer Gesellschaft, die unter der weltweit seit einigen Jahren anhaltenden, nicht erklärbaren, weiblichen Unfruchtbarkeit leidet. Man begleitet Theo durch ein an einen Polizeistaat erinnerndes London, es herrschen bürgerkriegsähnliche Zustände, die beim Zuschauer unweigerlich Fragen aufwerfen sollen. Lediglich Owens Spiel ist es zu verdanken, dass diese Fragen sogleich beantwortet werden, denn für ihn ist diese Welt Alltag. Eine aus den Fugen geratene Welt, die so sehr an unsere erinnert, dass wir wirklich glauben MÜSSEN, dass sie so aussehen könnte. Egal, ob Unfruchtbarkeit, ob die weltweiten Öl-reserven aufgebraucht sind, oder, ob Staaten entscheiden, Randgruppen durch ihre Politik zu diskriminieren.

Im weiteren Filmverlauf wanderte mein Blick immer wieder verstohlen zur Gäste-Couch, doch es trat keine Besserung ein. Im Gegenteil. Ich konnte einfach nicht begreifen, wie es - ausnahmslos angehenden Akademikern, wohlgemerkt - nicht möglich war, das ihnen vorgestellte Universum zu begreifen. Natürlich kann man in Frage stellen, ob eine 18 Jahre andauernde, nicht zu erklärende weibliche Unfruchtbarkeit zu der von Cuarón dargestellten Welt führen kann, wer vermag das schon zu sagen, aber sie nicht einmal für möglich zu erachten, sie gar als übertrieben, letztendlich als dem Regisseur zweckdienlich zu bezeichnen... mir fehlten die Worte.

Theo, dessen Leben durch den Tod seines eigenen Kindes die weltweite Depression wiederspiegelt, gerät im Laufe des Films in die schwierige Lage - aufgrund seiner familiären Verbindungen, und das in mehrfacher Hinsicht - eine junge Frau zu beschützen, die unerklärlicher Weise schwanger geworden ist. Der Film zeigt die Flucht der beiden vor einer nationalistischen Sekte (die Fishes) in ein postapokalyptisch anmutendes Asylantenlager, auf dem Weg zum "Human Project", eine - sinnvollerweise nicht näher beschriebenen - Gruppe, in deren Hände die Hoffnung der Menschheit sicher sein wird. Der Zuschauer muss zusammen mit Theo auf diesem Weg immer wieder emotional einschneidende Tragödien hinnehmen. Die Ohnmacht des Protagonisten in diesen Szenen wird zur eigenen, und das belastet, natürlich. Nichtsdestotrotz gibt es Hoffnung, personifiziert durch Kee (die im wahren Leben den schönen Vornamen Clare-Hope trägt), und spätestens, nachdem man sich in einer epischen Szene minutenlang ohne Schnitt, unbewaffnet, durch Straßenzüge unter Kugelhagel und Explosionen geduckt hat, um Kee und ihr Kind aus den Händen der Fishes zurückzuholen, und dann das Weinen des Neugeborenen das Kriegstreiben einfriert, gerade solange, bis man unbeschadet aus der Schusslinie entkommt, weiß man, wofür man das alles durchmacht.

Am Ende dieses DVD.Abends fühlte ich mich in vielerlei Hinsicht wie Theo. Ich hatte meinen Gästen einen hervorragenden Film gezeigt, die Hoffnung, ihren Filmgeschmack damit zu verbessern hat mich zu diesem Punkt gebracht, und immerhin ist niemand vorher gegangen. Doch genauso wenig wie Theo am Ende weiß, ob seine Reise erfolgreich war (wer weiß schon, ob das Human Project wirklich die Richtigen sind für die letzte Hoffnung der Menschheit), kann ich sagen, welcher meiner Gäste durch CoM in irgendeiner Weise "profitiert" hat. In jedem Fall war das mein erster und letzter DVD-Abend dieser Art.

Dienstag, 21. September 2010

Butch Cassidy and the Sundance Kid – Abseits aller Konventionen


Es hätte ein traditioneller Western werden können. Alles, was es dazu gebraucht hätte, wäre ein Regisseur wie Sergio Leone und ein grimmiger Clint Eastwood in der Rolle des Butch gewesen. Stattdessen durfte der Western-unerfahrene George Roy Hill, der später für Der Clou den Regie-Oscar erhalten sollte, auf dem Regiestuhl Platz nehmen. Eben diese Unbefangenheit ließ Hill etwas erreichen, wozu ein Sergio Leone, trotz oder gerade wegen seiner Liebe zu diesem Genre, niemals im Stande gewesen wäre.

Hill drehte einen Western, der kein Western ist. Denn Hill drehte einen Western, der kein Western sein will. Wenige Filme brechen mit gängigen Konventionen eines bereits etablierten Genres um etwas Eigenständiges und Unverbrauchtes zu schaffen. Die allerwenigsten bewerkstelligen dies mit einer spielerischen Leichtigkeit, die dem Zuschauer beim ersten Sehen, trotz aller Verwunderung, ein Lächeln aufs Gesicht zaubert. Butch Cassidy und Sundance Kid ist eine der seltenen Perlen, die genau diesen Effekt beabsichtigen und auch erreichen. Ein Hauptgrund hierfür ist unbestritten das sensationelle Hauptdarstellerduo, bei dessen Auswahl Hill ein erstes großes Risiko einging. In einem Film mit zwei gleichberechtigten Protagonisten stellte er dem damaligen Weltstar Paul Newman – alias Butch Cassidy – den reichlich unbekannten Robert Redford – alias Sundance Kid – zur Seite. Nicht wenige Leute zweifelten daran, ob Redford dieser Rolle gewachsen war und ob die Chemie zwischen den beiden stimmte. Heute wissen wir: George Roy Hill traf die richtige Entscheidung. Newman und Redford verkörpern diese beiden grundverschiedenen, sich gegenseitig ergänzenden Haudegen derart beindruckend, dass es nicht schwer fällt, an eine Freundschaft abseits der Kamera zu glauben.

Um zu verdeutlichen, dass der Film lose auf dem Leben zweier Banditen basiert, die tatsächlich existierten, bekommen wir zu Beginn Originalbilder ihrer Hole in the Wall Gang zu sehen. Danach führt die eigentliche Eröffnungssequenz Sundance als pokerspielenden, konfliktsuchenden Revolverhelden ein. Ein wilder Outlaw, bekannt für seine schnellen Hände, unbesiegbar im Duell. Ein Westernheld, klassisch und klischeebehaftet. Allerdings ist Butch derjenige Charakter, der zwar nicht den Film an sich, jedoch seine Wirkung auf das Publikum zu großen Teilen bestimmt. Zweifelsohne ist er ein Großmaul, jedoch verspielt er dank seines Charmes nie die Sympathien des Betrachters. Ebenso ist er ein Gangster, jedoch kein besonders guter. Er schießt schlecht, scheut den Konflikt und ist im Grunde seines Herzens ein anständiger Kerl. Jemand, den das Publikum trotz seines zweifelhaften Berufes liebt. Mit seiner Art bricht er die Rolle des klassischen Westernhelden immer weiter auf. Spätestens bei der legendären Szene, in der Butch zu „Raindrops keep fallin´on my head“ Kunststücke auf dem Fahrrad vollführt, dürften einige eingefleischte Westernfans das Kino verlassen haben.

Wer sitzen bleibt und sich darauf einlässt, wird mit einem innovativen und einzigartigen Film belohnt, der die Grenzen des Genres sprengt und echten Filmfans ins Gedächtnis ruft, welche Magie das Kino zu versprühen vermag. In einer Odyssee zweier freiheitsliebender Freunde wird Unerwartetes und Unkonventionelles auf eine Art und Weise präsentiert, die dem Publikum trotz ihres melancholischen Untertons immer wieder ein herzhaftes Lachen entlockt.

Dienstag, 14. September 2010

Heat – Die andere Seite von Los Angeles

Ich kann mich noch exakt daran erinnern. Auf dem allwöchentlichen Streifzug durch die Regale einer großen Elektronik-Kette, um nach neuen Perlen für meine Filmsammlung zu stöbern, entdeckte ich die Hülle aus schwarz und dunklem blau. De Niro und Pacino mit angespannten Gesichtszügen, über ihnen thronend der rot unterstrichene Titel Heat. Für vierneunundneunzig unschlagbar attraktiv und unglaublich traurig zugleich. In diesem Augenblick empfand ich es als blanken Hohn einen meiner Lieblingsfilme so zu verschleudern. Heute kann ich dem damals so empörend empfundenen Billigpreis einen positiven Aspekt abringen: er trägt – mit gewisser Sicherheit – dazu bei, dass Michael Manns Meilenstein des Thriller Genres den Weg in mehr Haushalte finden wird. Weshalb das gut sein soll, will ich im Weiteren erklären:

Heat zeigt ein anderes Los Angeles, ein L.A. das wir in dieser Form nicht kannten. Kein Hollywood-Zuckerguss, Jet-Set oder Blitzlichtgewitter. Bereits die näherkommenden Scheinwerfer, das eintönige Rattern der Bahn und das flächig-melancholische Thema in der Eröffnungssequenz deuten eine nicht zu entkommende Schicksalshaftigkeit der Ereignisse und der Charakterentwicklungen im weiteren Verlauf der folgenden knapp zweidreiviertel Stunden an. Im Fokus steht das erstmalige Treffen der Schauspielgiganten Robert De Niro – Neil McCauley – und Al Pacino – Vincent Hanna – auf 35mm. Ein Treffen, das so ausgeglichen, auf Augenhöhe angelegt ist, dass eine Identifikation mit dem Helden zur Tortur wird, weil ein Held im klassischen Sinne nicht auszumachen ist. Obwohl die Fronten eindeutig geklärt sind: McCauley, der smarte, aber auch – wenn es die Situation verlangt – eiskalte Anführer einer Gangsterbande. Hanna, der getriebene und erfolgsverwöhnte Chefermittler der Mordkommission. Beide machen was sie am besten können. Sie haben nichts anders gelernt, wollen auch nichts anders machen, auch wenn das gleichbedeutend mit dem Kappen jeglicher positiv konnotierten zwischenmenschlichen Beziehung ist. Der Bluthund Hanna und der abgebrühte McCauley. Ein Spiel der Charakterdarsteller, das nur durch Glück, Zufall oder Schicksal entschieden werden kann und das selbst dann, als Hanna McCauley auf dem nächtlichen Flughafenfeld erschießt, keinen Gewinner preisgibt. Zu ähnlich sind sich die beiden Charaktere in ihrer Lebensweise und ihren Methoden. Los Angeles, von Regisseur Mann als weite, flache und flächige Stadt inszeniert, trägt zur Verlorenheit der beiden Protagonisten bei. Hanna, der am liebsten überall dem Verbrechen entgegentreten würde und darin zwangsweise zum Scheitern verurteilt ist, sogar die eigene Familie durch seine Getriebenheit verliert. McCauley, der sich (endlich) aus dem Geschäft zurückziehen will, letztlich aber doch seiner Natur beziehungsweise seinem Instinkt folgen muss und dem Verrat – als höchster Form der Verfehlung gegen den Verbrecherehrenkodex – entgegentritt.

Für mich macht die Uneindeutigkeit, die im Spiel und der Form den ganzen Film durchsetzt, Heat zu einem Klassiker, bei dem ich, je öfter ich den Silberling in den DVD-Player lege, immer wieder faszinierende neue Aspekte entdecke.