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Sonntag, 16. Oktober 2011

Drive – Augenblicke im Leben eines Fahrers

Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen in meinem nächsten Artikel über ‚Valhalla Rising‘ zu schreiben, das abstrakte und nahezu stumme Kriegerepos des dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn mit Mads Mikkelsen in der Hauptrolle. Doch die Aufregung rund um das neue Werk des Regisseurs, der sich mit der Pusher-Trilogie im europäischen Art-House Kino bereits einen Namen gemacht hat, machte mich neugierig. Dann doch lieber abwarten was da kommen mag. Es hat sich gelohnt…

Vorab // Trotzdem ich den Versuch unternommen habe so wenig wie möglich über die Geschichte beziehungsweise einzelne Szenen zu verraten – der Film soll in Deutschland bedauerlicherweise erst Anfang 2012 in die Kinos kommen –, kann ich doch nicht 100%ig ausschließen, dass sich in meiner übereifernden Begeisterung ein paar Spoiler eingeschlichen hab. Ich bitte um Nachsicht.

Ein Mann. Ein Auto…so könnte man ‚Drive‘, den neuen Film von Nicolas Winding Refn, in Anlehnung an eine allseits beliebte Serie mit sprechendem Auto und The Hoff in der Hauptrolle, auf den ersten Blick beschreiben. Das war‘s dann aber auch schon mit den Parallelen zur Actionserie aus den 80ern. Keine fliegenden Autos, Turbo Boost oder schicke Casio-Uhren. Nur die Schriftfarbe der Titelsequenz weckt kurzzeitig Erinnerungen an die Zeit der Foundation für Recht und Verfassung, ehe wir wieder in die dunklen und gewalttätigen Straßen des L.A. der Jetztzeit entlassen werden.

Der von Ryan Gosling – bereits in ‚Das perfekte Verbrechen‘ und ‚Blue Valentine‘ überaus überzeugend – verkörperte namenlose Fahrer ist alles andere als ein Gesetzeshüter à la Michael Knight. Als unscheinbarer Automechaniker und Stunt-Fahrer tagsüber, macht er sich nachts als wortkarger, stoisch dreinblickender wheel man für Los Angeles‘ kriminelle Szene verdient. Bereits die Anfangssequenz stellt klar heraus: dieser Typ versteht sein Handwerk. Unaufgeregt und ohne sichtbare Gemütsregung, immer mit einem Zahnstocher im Mundwinkel, wartet er auf seine heiße Fracht und lässt sich weder von Streifenwagen noch vom Suchscheinwerfer eines Helikoptern aus der Ruhe bringen. „Kid“, wie er von Shannon (Bryan Cranston – ‚Breaking Bad‘), dem hinkenden Werkstattbesitzer liebevoll genannt wird, ist ein Anti-Held, vergleichbar mit den Protagonisten der Schwarzen Serie, über deren Vergangenheit ein milchiger Schleier liegt. Er taucht irgendwann auf und scheint genauso unvermittelt wieder in die Nacht verschwinden zu können. Präzise getaktet und kraftvoll, wie ein V8 Motor, spult der Protagonist seine Dienste ab, immer darum bemüht keine Aufmerksamkeit zu erregen. Selbst brenzlige Situation werden von seinem emotionslosen, nahezu kalten Gesicht absorbiert. Doch als Nachbarin Irene – die wundervolle und unschuldig spielende, durch ‚An Education‘ bekannte Carey Mulligan – den emotionalen Schutzschild des Fahrers zum Bröckeln bringt, bricht dieser aus seiner Routine aus – mit weitreichenden Konsequenzen.

Neben den wuchtig und exakt getimten Verfolgungsjagden, den hervorragenden und präzisen Bildern und dem treibend-monotonen, äußerst stimmigen Soundtrack, weiß ‚Drive‘ insbesondere durch seine Zurückhaltung zu überzeugen. Refn deutet eine Liebesgeschichte in Blicken, Gesten und Berührungen subtil an und macht die emotionale Bindung zwischen Irene und dem Fahrer dadurch umso stärker. Blicke nehmen über die Spielzeit des Films einen besonderen Stellenwert ein. Sie sind Symbole für Macht und Stärke, werden aber auch als verbindendes Element eingesetzt, was besonders deutlich wird, wenn der Fahrer Irene und ihren Sohn auf eine Spritztour an einige unbekannte, wunderbare, der Rohheit der Stadt entgegenstehende Orte entführt.

Refns Hollywood-Debüt ist rein von der erzählten Geschichte sicherlich nicht innovativ, weiß aber formal zu überzeugen, ohne zur belanglosen Hülle zu verkommen. Auch wenn ‚Drive‘ verglichen zu ‚Valhalla Rising‘ fast schon dialoglastig wirkt, bleibt vieles unausgesprochen, was, in Verbindung mit dem häufigen Gebrauch des Zeitlupeneffekts, die emotionale Spannung befeuert. Ein Vergleich zur testosterontriefenden ‚Fast and Furious‘ Reihe schießt deshalb meilenweit am Ziel vorbei. Vielmehr ist ‚Drive‘ aufgrund seiner rar gesäten Gewaltexzesse, die den Rezipienten wie ein unerwarteter Nackenschlag treffen und daher geschickt Akzente beziehungsweise Brüche in der Handlung akzentuieren, mit Cronenbergs Filmschaffen allgemein, im Besonderen mit ‚A History of Violence‘ zu vergleichen. Speziell die männliche Hauptrolle in ‚Drive‘ ist ähnlich undurchsichtig und mysteriös angelegt und treibt die Spannung sowie die Geschichte gezielt voran. Sowohl der Fahrer mit der Skorpionjacke und den braunen Lederhandschuhen (Gosling) als auch der biedere Café-Besitzer (Mortensen) schwanken zwischen Fassade und Wirklichkeit. Eine strikte Trennung ist hier, trotz extremer Selbstdisziplin, unmöglich, da die Übergänge zwischen beiden Ebenen fließend sind. Während Tom Stall (Mortensen) von dieser eingeholt wird, scheint der Fahrer überhaupt keine Vergangenheit zu haben. Im blitzschnellen Umschalten vom hilfsbereiten Nachbarn zum Mann mit den Eisaugen wird jedoch schnell ersichtlich, dass der Fahrer nicht der unbescholtene Bürger von Nebenan ist.

Mit ‚Drive‘ ist Refn ein meisterhafter Genre-Film gelungen, der sich einbrennt wie heißes Motorenöl. Eine intensive, dramatische Geschichte, die vom hervorragenden Cast, der wunderbaren Kameraarbeit, einem passenden 70er Synthiesoundtrack und dem exakten Schnitt veredelt wird. Refn zeigt uns ein unbekanntes L.A. Ein L.A. wie zuletzt in Michael Manns ‚Heat‘, roh und ohne Weichzeichner. Er beklemmt uns wie Cronenberg und bleibt doch dem eigenen Stil treu.

Montag, 10. Oktober 2011

Sucker Punch – "Stunned, stupefied, anesthetized, lobotomized"


Ein unerwarteter Schlag. In etwa so lässt sich der Titel von Zack Snyder's Machwerk frei übersetzen. Dass ihm dies, zumindest bei mir, zweifelsfrei gelungen ist, mag ich an dieser Stelle keineswegs bestreiten. Ich wage jedoch zu behaupten, dass er sich das grundlegend anders vorgestellt hatte. Snyder hatte wohl die Intention, bombastische Schauplätze und fantastische Action auf innovative Art und Weise mit einer realistischen Geschichte zu verbinden, welche schliesslich ein überraschendes Ende findet.

Dass Snyder aus diesem durchaus vielversprechenden Ansatz ein vielleicht nicht gänzlich ideenloses, dafür aber völlig seelen- und sinnloses Baukastensystem ohne jegliche Spannung gemacht hat, ist für mich tatsächlich ein harter Schlag. Und unerwartet war es obendrein, zumal sich Snyder bis zu diesem Zeitpunkt mit wenigen Filmen einen durchaus respektablen Ruf erarbeitet hatte: Dem erschreckend guten Remake von Dawn of the Dead im Jahre 2004 liess er 2006 das visuell überwältigende und zumindest bei Männern überaus beliebte Testosteronspektakel 300 folgen. Mit Watchmen drehte er 2009 die aus meiner Sicht bestmögliche und ebenfalls visuell bahnbrechende Verfilmung eines nahezu unverfilmbaren Kultcomics. Vor Sucker Punch liess er 2010 dann noch den völlig unterschätzten Animationsfilm Legend of the Guardians: The Owls of Ga 'Hoole folgen.

Weshalb habe ich mich beim Sehen von Sucker Punch also so gefühlt, wie es das titelgebende Zitat von Zelda Fitzgerald aus Woody Allen's Midnight in Paris wohl am besten ausdrückt? "Stunned, stupefied, anesthetized, lobotomized…" Um dies zu erläutern, muss ich auf einige K(n)ackpunkte der Geschichte eingehen, weshalb ich denjenigen, welche den Film noch nicht gesehen haben, ihn aber gerne noch vorurteils- und spoilerfrei sehen möchten (Anmerkung: Der Autor rät dazu, diesen Wunsch nochmals gründlich zu überdenken), vom Weiterlesen abraten muss.

Zu Beginn des Films wird eine junge Frau, gespielt von Emily Browning, von ihrem bösen Stiefvater nach dem Tod ihrer Mutter und ihrer Schwester in eine Nervenanstalt eingewiesen, mit der trüben Aussicht in 5 Tagen aufgrund ihrer angeblichen Geistesgestörtheit einer Lobotomie unterzogen zu werden. Snyder muss sich selbst eindeutig als reinen Fantasy-Regisseur sehen. Andernfalls ist es nämlich kaum zu erklären, warum er diese realistische Handlungsebene verlässt, welche genügend Potential für einen klaustrophobischen Thriller geboten hätte. Stattdessen bewegt er sich fortan praktisch nur noch in verschiedenen Traumebenen um den Fluchtversuch von Babydoll und vier ihrer Mitinsassinnen zu beschreiben. Wer beim Wort Traumebene an das bereits heute unsterbliche Genre-Meisterwerk Inception denkt, sei jedoch gewarnt. Dort besitzt jede Traumebene eine eigenständige Handlung und doch werden die Handlungen der höheren Traumebenen durch die tieferen Ebenen massgeblich beeinflusst. Die einzelnen unterschiedlichen Bauteile bilden ein homogenes und hochkomplexes Ganzes. Nichts läge Sucker Punch ferner, als nach einer solchen Vielfältigkeit und Vernetztheit zu streben. Im Grunde genommen bewegt sich die Story immer auf der obersten Ebene, nur dass der Zuschauer eben genau diese Ebene fast nie zu Gesicht bekommt. Man könnte Snyder vorwerfen, dass er selbst nicht an seine Geschichte und ihr Potential geglaubt und deshalb die Flucht in die Special Effects gewählt hat. Warum sollte er sonst ein wahres CGI-Feuerwerk für etwas zünden, das eigentlich gar nicht passiert? Eine böswilligere Interpretation wäre, dass Snyder gar keine Geschichte erzählen, sondern einfach ein Spektakel und knapp bekleidete Mädchen präsentieren wollte.

Anstatt also weiter das Geschehen in der Anstalt zu verfolgen, hat der Zuschauer keine Wahl und muss Babydoll in ihre erste Traumebene folgen. Dass diese Traumebene nicht mehr in einer Nervenanstalt, sondern einem Bordell spielt und dass die drohende Lobotomie durch den Verlust der Jungfräulichkeit ersetzt wird, kommt dem Regisseur gerade recht… Damit die Mädels ihre Flucht in die Tat umsetzen können, müssen sie fünf verschiedene Dinge, wie beispielsweise eine Karte oder ein Messer, stehlen. In allen Fällen ist dies nur dann möglich, wenn Babydoll ihren scheinbar hypnotisierenden Tanz aufführt um die betreffenden Personen abzulenken. Das mag beim Stehlen der Karte noch halbwegs plausibel erscheinen, als jedoch das Messer des Küchenchefs gestohlen werden soll und dieser hypnotisiert vor der tanzenden Babydoll sitzt, wirkt diese Idee einfach nur noch lächerlich.

Die Tanzszenen werden dabei nie wirklich gezeigt, sondern durch eine zweite Traumebene ersetzt. Dies wird im Film damit erklärt, dass sich die schüchterne Babydoll in diese zweite Traumebene denken muss, um ihren Tanz aufführen zu können. In Wahrheit trägt die zweite Traumebene, wie bereits die erste, jedoch nichts zur eigentlichen Handlung bei, sondern ist nur eine übertriebene Darstellung dessen, was eine Ebene darüber gerade passiert. Warum sich Snyder dazu entschlossen hat, diese zweite Traumebene in seinen Film aufzunehmen, kann mehrere Gründe haben. Dem Leser steht es frei, sich einem der unten aufgelisteten Erklärungsversuche (oder einer Kombination davon) anzuschliessen:

1. Emily Browning ist zwar süss anzusehen, kann aber nicht tanzen.
2. Snyder hat spätestens bei der angesprochenen Szene mit dem Küchenchef realisiert, wie lächerlich der Storypunkt mit der "Ablenkung/Hypnotisierung durch Tanzen" wirklich ist und wollte davon ablenken.
3. Snyder hat nach dem Schneiden des Filmes gemerkt, dass seine Endfassung nur 13 Minuten Länge aufwies und hat danach in einem aufwendigen Nachdreh noch eine Traumebene hinzugefügt.
4. Snyder hat realisiert, dass mehrere identische Tanzszenen dem Film schaden könnten. Um davon abzulenken, dass dem Zuschauer im Grunde genommen mehrmals die gleiche Szene präsentiert wird, wurden die einzelnen Tänze also einfach durch verschiedene Fantasywelten ersetzt.
5. Snyder ist eines Nachts mit folgender genialer Idee aufgewacht: "Was ist besser als leicht bekleidete Mädchen? Na logo, leicht bekleidete Mädchen, die wie wild mit Waffen um sich ballern!"
6. Auf den ersten beiden Ebenen benötigte Snyder praktisch keine Spezialeffekte, was ihm nicht richtig erschien.

Nunja… so mähen die Mädels in den verschiedenen Welten also reihenweise (und vorzugsweise in Slow Motion) riesige Samurais, dreckige Orkse, Nazizombies und Drachen nieder um ihre verschiedenen Missionen pflichtbewusst zu erfüllen. Was in einem sinnvollen Kontext durchaus hätte funktionieren können, langweilt nach der dritten Zeitlupe einfach nur noch und der Zuschauer denkt sich: "Ja, das sah jetzt schon ganz cool aus, aber Moment… das passiert ja alles gar nicht wirklich… die Kleine ist ja am Tanzen… ach nee, Moment… den Tanz bildet sie sich irgendwie ja auch nur ein… was macht sie eigentlich gerade wirklich? Ach egal…" Irgendwann (eigentlich sogar ziemlich schnell) war mir dann auch egal, ob Babydoll ihre drohende Lobotomie abwenden kann oder nicht, so wenig Verbindung konnte ich mit den Hauptcharakteren aufbauen. Ich fühlte mich regelrecht lobotomisiert, zu keiner Gefühlsregung mehr fähig…

Was soll ich also schreiben? Bis vor kurzem mochte ich den Regisseur Snyder noch sehr und wenn ich an seine anderen vier bisherigen Filme denke, so fällt es mir auch keineswegs schwer, ihn immer noch sehr zu mögen. Wohlgemerkt waren seine früheren Projekte jedoch allesamt Adaptionen bereits bestehender Stoffe, während er mit Sucker Punch das erste Mal etwas aus der eigenen Feder verfilmte. In ein paar Jahren wird er vielleicht die Grösse haben und sagen: "Ich bin stolz auf fast alle meiner bisherigen Filme, aber was ich mit Sucker Punch verbrochen habe, bereitet mir auch heute noch schlaflose Nächte. Entschuldigung!" Vielleicht ist das alles aber auch nur die subjektive Meinung eines Filmfans, der sich einen anderen Film erhofft hatte. Andere mögen in dem Film etwas erkennen, das ich nicht im Stande bin zu sehen. Was mich betrifft, so werde ich mir demnächst wieder 300 in meinen BluRay-Player schieben, Leonidas und seine Mannen nach vorne brüllen und mich danach verhalten auf Snyder's nächste Projekte freuen. Dieser eine Ausrutscher sei ihm verziehen.