The Man from Nowhere (Ajeossi)
Eigentlich ging der Reiz die "koreanische Antwort auf 96 Hours" zu sehen, wie auf der Rückseite der von Amasia veröffentlichten BD angepriesen, knapp gegen null. Zwar war ich von der kernigen Entführungsgeschichte mit Liam Neeson keineswegs enttäuscht, genauso wenig begeisterte mich diese recht geradlinige Geschichte jedoch. Nur mein seit der Rachetrilogie von Park Chan-wook entfachtes Interesse für das Südkoreanischen Genrekino gab letztlich den Kaufentscheid. Ein Blindkauf sozusagen, ohne es später auch nur eine Sekunde zu bereuen.
Won Bin, der bereits in Mother(Madeo) als zurückgebliebener Triebtäter zu überzeugen wusste, verkörpert den zurückgezogen lebenden Tae-sik, der sich sein Brot als Pfandleiher verdient. Unfreiwillig schlittert er durch seine Nachbarin in einen misslungen Drogenraub und muss sich bald gegen eine ganzes Kartell behaupten. Dass der zuerst noch mit Boygroup-Frisur recht brav daherkommende Tae-sik sich dabei mehr als beachtlich schlägt, lässt bereits vermuten, dass das Pfandleiherhandwerk keineswegs seine erste Berufswahl war. Hinter der fast starren und anfangs kaum zu einer Gefühlsregung fähigen Maske, versteckt sich eine zutiefst vernarbte Seele. Der Grund dieser Narben wird nur in kurzen, aber völlig hinreichenden Rückblenden offenbart, die dem Helden die nötige Motivation für sein späteres Handeln an die Hand geben. Was der Titel bereits andeutet, wird durch das Aussparen weiterer Details seiner Vergangenheit untermauert. Tae-sik ist der Mann aus dem Nichts, der ebenso unbemerkt auftaucht, wie er auch wieder verschwindet. Leben oder Sterben spielt dabei für ihn nur eine untergeordnete Rolle. Als Tae-siks Nachbarin und ihre Tochter So-mi entführt werden und er kurze Zeit später die Mutter tot in einem Kofferraum findet, schwebt auch So-mi in höchster Lebensgefahr. Auf der Suche nach So-mi wird Tae-sik angeschossen und muss einige Zeit bei einem Freund unterkommen, um sich von seinen Verletzungen zu erholen. Sein Ziel, die Befreiung So-mis, verliert er dabei jedoch nie aus den Augen. Sie ist zu seinem einzigen Lebensinhalt geworden. Nachdem der ehemalige Spezialagent genesen ist, kann er sich jedoch kaum noch an Son-mis Gesicht erinnern. Trotzdem beginnt er die Fährte aufzunehmen. In einem furiosen Finale steht alles auf dem Spiel. Wird Tae-sik So-mi rechtzeitig finden?
The Man from Nowhere ist eine Geschichte über Tod, Schmerz und den moralischen Anspruch das Richtige zu tun. Hervorragend gefilmt, nervenflirrend inszeniert und wunderbar kadriert, entwickelt der Film über knapp zwei Stunden eine intensive Identifikation und Empathie mit dem Helden. Natürlich ist The Man from Nowhere ein kommerzieller Box-Office Erfolg (über sechs Millionen Kinobesucher) und keineswegs mit der subtilen und abstrakten Sprengkraft eines Park Chan-wook zu vergleichen. Diesen Anspruch hat Lee Jeong-beoms Rachethriller auch keineswegs. Im fulminanten Finale zeigt sich durch das Changieren zwischen grandioser Action und ergreifender Dramatik, dass künstlerischer Anspruch und großes Kino keine unvereinbaren Gegenpole bilden müssen. Nach dem bitteren und harten Krimi The Chaser, gelingt es Lee Jeong-beom in seinem zweiten Langfilm erneut den Rezipienten mitzureißen und einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen. Ein Grund mehr aufmerksam nach Südkorea zu schauen.
Ciao Ramon,
AntwortenLöschenwie man sich vielleicht denken kann, hatte ich von dem Film bislang nichts gehört und ich kann dementsprechend noch nichts sinnvolles über die Qualität des Machwerks verzapfen. Da ich aber genau wie du ein grosser Verfechter des asiatischen Kinos bin, hast mich natürlich schon sehr neugierig gemacht. Auch deshalb, weil ich 96 Hours total anders bewerte als du, der war nämlich geil, geil, scheisse geil :-)
In zweifacher Weise hat mich deine Review beeinflusst: Erstens ist die BluRay bereits unterwegs zu mir nach Hause, werde mich also bald mit einer ausführlicheren Meinung melden... Zweitens weiss ich jetzt dank dir und Wikipedia was der Fachbegriff "Kadrage" bedeutet ;-)
In diesem Sinne, Chapeau für den Beitrag und auf bald,
Öle from Nowhere (oder auch Öleossi)
Und so melde ich mich also schliesslich wieder... Habe den Film gesehen (und genossen) und muss sagen, dass ich deinen Worten nicht widersprechen mag, aber durchaus Grund sehe, noch etwas hinzuzufügen.
AntwortenLöschenEinen Aspekt, den du in deiner Review aussen vor gelassen hast, den ich aber bei Filmen allgemein sehr wichtig finde und der mir speziell bei diesem Film sehr positiv aufgefallen ist, war der Score.
Speziell ab dem Zeitpunkt, an dem Tae-sik gezwungen ist, seine wahren Talente zu offenbaren, wird durch die Musik wahnsinnig viel Spannung aufgebaut.
Es hat mich teilweise ganz extrem (im positiven Sinne) an die Minuten vor dem Bankraub und der grossen Schiesserei in "Heat" erinnert, wo lange Zeit diese recht monotene Melodie gespielt wird, bis man es vor lauter Spannung kaum noch aushält. Man spürt einfach, dass sich die Spannung immer mehr aufbaut und in irgendetwas grossem entlädt. Genauso war's für mich bei "The man from nowhere". Perfektes Zusammenspiel zwischen Musik, Bildern und Geschichte.
So muss das sein.
Gruäss,
Öle
Lieber Oli,
AntwortenLöschengut, dass du diesen Aspekt noch anführst. Ich stimme dir nämlich vollkommen zu. Habe mir den Soundtrack extra aus Südkorea kommen lassen. Nach 3 Monaten und Abholung am Zoll, weil der Musikladen in Korea vergessen hatte den Warenwert am Paket anzugeben, hab ich das gute Stück seit geraumer Zeit in meiner Soundtracksammlung. Deinen Anmerkungen ist nichts hinzuzufügen. Einfach ein rundum gelungenes Zusammenspiel.
Der Score spielt an sich immer eine wichtige Rolle. Er kann einen Film passende untermalen oder einen Gegenpol zu den Bilder setzen. Hier ist ersteres meisterhaft vorgeführt...
Bin hocherfreut, dass du derselben Meinung bezüglich des Films bist. Deine Parallele zu Heat ist mir zwar nicht erster Hand aufgefallen, sie würde aber erklären, weshalb ich den Film so begeistert aufgenommen habe.
Besten Dank für deinen Kommentar,
Roman