Im Jahr 2010 schickte sich die erste Staffel einer kleinen, aber feinen
britischen Fernsehserie dazu an, den beiden grossen amerikanischen
Kinoadaptionen von Sherlock Holmes
mit Robert Downey Jr. zu trotzen.
Wohlwissend, dass man es in Sachen Budget, Schauwerten und Action nicht mit dem
grossen Bruder aus Amerika würde aufnehmen können, entschieden sich die
Verantwortlichen dazu, einen etwas anderen Weg zu gehen. Weniger ist dabei
mehr: Angesiedelt im London des 21. Jahrhunderts bietet die Serie kaum Action,
dafür umso mehr (geistreiche) Dialoge und eine denkbar einfache, aber ungeheuer
wirkungsvolle und kurzweilige Kombination aus Witz und Spannung. Nur jeweils drei
Episoden umfassen die ersten beiden Staffeln, jede Episode dafür in klassischer
90-minütiger Spielfilmlänge. Durch die Fokussierung auf nur wenige Fälle und
die Tatsache, dass den einzelnen Fällen mehr Zeit als die im Fernsehen üblichen
45 Minuten gewährt wird, erreicht die Serie praktisch durchgehend eine Qualität,
die sich vor keinem Kinofilm verstecken muss, was wohl das erste
Erfolgsgeheimnis von Sherlock sein
dürfte.
Das zweite Erfolgsgeheimnis, daran besteht wohl kein Zweifel, liegt im
Cast der beiden Hauptdarsteller. Benedict
Cumberbatch (als Sherlock Holmes)
und Martin Freeman (als Dr. John Watson) sind absolute
Glücksgriffe und gehen in Ihren Rollen voll und ganz auf. Auch die Chemie und
das Timing der beiden erscheinen derart perfekt, dass man Sie sich auch gut und
gerne als erfolgreiches Stand-Up Comedy Duo vorstellen könnte. Es kommt sicher
nicht von ungefähr, dass die Filmkarrieren der beiden wohl gerade durch Sherlock einen riesigen Schub erhalten
haben. Martin Freeman verkörpert
aktuell den Hobbit in Peter Jackson’s gleichnamiger Trilogie; Benedict Cumberbatch dagegen gibt in Star Trek into Darkness ebenfalls in
einem absoluten Blockbuster einen der besten Leinwand-Bösewichte der letzten
Jahre:
Links: Benedict Cumberbatch in Star Trek into Darkness, Mitte: Sherlock Holmes und John Watson, Rechts: Martin Freeman in Der Hobbit |
In der Serie ist sich Cumberbatch’s
Sherlock jederzeit seiner unfassbaren Intelligenz über alle Massen bewusst
und stellt sie auch bereitwillig zur Schau. Er wirkt deshalb auch immer ein bisschen
arrogant und ist gleichzeitig in zwischenmenschlichen Beziehungen so tölpelhaft und rücksichtslos, dass es fast schon schmerzt. Jedoch verliert er nie
wirklich die Sympathie des Zuschauers, denn Cumberbatch
verleiht ihm trotz allem einen grossen Schuss Liebenswürdigkeit. So verzeiht
man Sherlock nicht nur die Tatsache,
dass sich Watson in regelmässigen Abständen Anmerkungen bezüglich der mangelnden
Grösse seines Gehirns anhören muss. Man liebt Sherlock dafür.
“Dear God, what is it like in
your funny little brains? It must be so boring!“
Genauso liebt man ihn für seine maschinengewehrartigen Analysen des
Tatorts, die nicht nur seine Mitstreiter immer wieder aufs Neue verblüffen,
sondern auch dem Zuschauer alles abverlangen. Denn selbst auf dem Sofa fühlt
man sich immer ein bisschen am Limit, wenn Sherlock
das aus seiner Sicht Offensichtliche präsentiert. Dies wiederum führt zu einer
perfekten Identifikation seitens des Publikums mit Freeman’s Watson, welcher oftmals schlicht und ergreifend wie der
erste Zuschauer wirkt und Sherlock
genau die „dummen“ Fragen stellt, die wir uns auch sofort stellen, durch die
Mattscheibe aber nicht anbringen können. Herrlich sind auch die Szenen, in
denen der Polizeichef verzweifelt und
ideenlos am Tatort seinen „Consulting Detective“ Sherlock mit den Worten „Any
ideas?“ begrüsst und Sherlock beispielsweise lakonisch antwortet: „Seven…“
Aber nicht nur die beiden Hauptdarsteller oder die überragenden
Drehbücher sorgen dafür, dass Sherlock
zu einem Triumphzug der britischen Fernsehunterhaltung wird. Kleinere
Nebenrollen, wie bspw. jene von Sherlock‘s
Bruder Mycroft (Mark Gatiss), sind exzellent besetzt und tragen zur genialen
Stimmung bei. Unbedingt erwähnt werden muss auch der atemberaubende Auftritt
von Irene Adler (exzellent: Lara Pulver), welche den ansonsten
weitestgehend frauenresistenten Detektiv nicht nur aufgrund ihrer, nennen wir
es unkonventionellen Kleiderwahl bei Ihrem ersten Treffen, aus der Reserve
lockt.
Zu guter Letzt darf natürlich auch der Hauptantagonist nicht fehlen,
auch wenn er sich etwas Zeit lässt und erst in der dritten und somit letzten
Episode der ersten Staffel in Erscheinung tritt: Jim Moriarty (Andrew Scott).
Dass dieser weltbekannte Bösewicht seine „Beliebtheit“ beim Publikum in der
Vergangenheit hauptsächlich auch dadurch bezog, dass er als einzige Person annähernd
Sherlock‘s Intelligenz besitzt, war
selbstredend auch den Machern der neuen Serie bekannt und wurde dementsprechend
beibehalten. Trotzdem kommt er hier in einem neuen Gewand daher. Fast schon
Schulbubenhaft wirkt sein Äusseres, jedoch nur so lange bis er den Mund
aufmacht, denn Andrew Scott spielt Moriarty dermassen überdreht, dass er
dem Zuschauer durch seine Stimmungsschwankungen und allein schon durch seine
unterschiedlichen Tonlagen einen Heidenschrecken einjagt. Diesem Mann traut man
wirklich alles zu. Und vielleicht ist das Erschreckendste das Gefühl, dass er nicht
einmal einen Grund für seine Taten zu brauchen scheint. Ebenso wie bei Sherlock scheint seine Intelligenz mehr
Bürde als Segen, da sie bei beiden zu zwanghafter Langeweile führt. Der
Unterschied: Moriarty bekämpft seine
Langeweile mit Verbrechen, während Sherlock
nichts lieber tut, als eben jene kniffligen Fälle zu lösen. Nicht auszudenken,
wenn Sherlock einmal genau diese
Fälle und die daraus resultierenden Herausforderungen und Gefahrensituationen
ausgehen würden. Würde er selbst zu einer Art Super-Verbrecher mutieren? Einfach
aus Langeweile? Bei diesem Sherlock
kann die Antwort nicht mit Sicherheit „Nein“ lauten. In der allerersten Episode
wird John Watson sogar genau davor gewarnt:
Donovan: You're not his friend. He doesn't have friends. So
who are you?
Watson: I'm... I'm nobody. I've just met him.
Donovan: Okay, bit of advice then. Stay away from that guy.
Watson: Why?
Donovan: You know why he's here? He's not paid or anything. He likes it. He gets off on it. The weirder the crime the more he gets off. And you know what? One day just showing up won't be enough. One day we'll be standing around a body and Sherlock Holmes will be the one who put it there.
Watson: Why would he do that?
Donovan: 'Cause he's a psychopath. Psychopaths get bored.
Watson: I'm... I'm nobody. I've just met him.
Donovan: Okay, bit of advice then. Stay away from that guy.
Watson: Why?
Donovan: You know why he's here? He's not paid or anything. He likes it. He gets off on it. The weirder the crime the more he gets off. And you know what? One day just showing up won't be enough. One day we'll be standing around a body and Sherlock Holmes will be the one who put it there.
Watson: Why would he do that?
Donovan: 'Cause he's a psychopath. Psychopaths get bored.
Basierend auf diesem
Zitat erreicht die Rivalität zwischen Moriarty
und Sherlock im glorreichen Abschluss
der zweiten Staffel mit der Episode The Reichenbach Fall ihren absoluten
Höhepunkt, an deren Ende Sherlock uns
alle vor ein Rätsel stellt, welches das Warten auf Staffel 3 fast unerträglich
macht.
Hi Oli,
AntwortenLöschenhab jetzt endlich die ersten beiden Folgen gesehen. Muss Dir in großen Teilen deines Artikels zustimmen. Tolle Schauspieler, tolles Format.
Aber irgendwie sprang der Funke bei mir noch nicht so richtig über. Versteh mich nicht falsch, ich find die Serie nicht schlecht, aber irgendwie wirkt alles "schon mal dagewesen". Damit mein ich jetzt nicht die Tatsache, dass die Geschichte um Sherlock, Watson und Co. schon so oft erzählt wurde, sondern dass die Serie ein bisschen so wirkt, als hätte man Erfolgsfaktoren aus anderen Serien wie House, Breaking Bad und Monk zusammengeworfen, nachdem man gemerkt hat, dass die ja alle stark vom eigentlichen Sherlock geklaut haben.
Darüber hinaus fand ich beide Fälle doch arg konstruiert, sprich das Skript nicht so herausragend.
Werd's wohl trotzdem weiter schauen, denn es ist ja schon unterhaltsam. Bin gespannt, ob es mich noch so richtig packen wird.