Wenige Jahre nach
Sam Raimi’s Trilogie mit Toby Maguire ein neues Spider-Man-Reboot zu starten
hat bei vielen Leuten, so auch bei mir, für unverständliches Kopfschütteln
gesorgt. Sinn und Unsinn einer solchen Entscheidung, und was dies über die
allgemeine Ideenlosigkeit aussagt, in der Hollywood seit einigen Jahren zu
stecken scheint, würden einen eigenständigen Artikel rechtfertigen. Aber lassen
wir dieses Thema beiseite, ignorieren die alte Trilogie und geben „The Amazing Spider-Man
2: Rise of Electro“ eine faire Chance. Mit dieser Einstellung habe ich bereits
beim Vorgänger „The Amazing Spider-Man“ das Kino betreten und danach mit
gemischten Gefühlen wieder verlassen. So auch dieses Mal. Der Film brilliert
dabei auf Ebenen, die für sein Genre untypisch sind, gleichzeitig enttäuscht
aber das Drehbuch an einigen wichtigen Stellen. Dies erscheint umso
ärgerlicher, da die gröbsten Schnitzer aus meiner Sicht leicht zu beheben
gewesen wären, was aus “The Amazing Spider-Man 2” einen rundum gelungenen Film
gemacht hätte.
Auf
schauspielerischer Ebene überzeugt der Film wie vielleicht keine
Comicverfilmung vor ihm. Dass Comicverfilmungen aktuell im Trend liegen und auch
immer mehr hochdekorierte Darsteller einen Abstecher in dieses Genre wagen, ist
kein Geheimnis mehr. „The Amazing Spider-Man 2“ treibt dieses Konzept aus
meiner Sicht auf seine bisherige Spitze. Neben dem hochtalentierten
Hauptdarsteller Andrew Garfield umfasst der sensationelle Cast aufstrebende
Megatalente wie Emma Stone (als Spideys grosse Liebe Gwen Stacy) und Dane deHaan
(vielleicht die grösste Attraktion des Films als Harry Osborne), sowie
alteingesessene Hollywood-Schwergewichte wie Sally Field (Tante May), Chris
Cooper (Norman Osborne), Jamie Foxx (Electro) und Paul Giamatti (Rhino). Dass
dabei aber zumindest das Talent der letzten beiden verschwendet - oder sagen
wir falsch eingesetzt - wurde, muss schon als enttäuschend bezeichnet werden.
Bleiben wir aber
zunächst bei den, wie bereits erwähnt, durchaus vorhandenen Vorzügen. Die
besten Szenen hat der Film, wenn Andrew Garfield, Emma Stone und Dane deHaan
auf der Leinwand zu sehen sind. Und zwar als Peter Parker, Gwen Stacy und Harry
Osborne. Nicht als Spider-Man, im Fall von Andrew Garfield, und auch nicht als
Green Goblin, im Fall von Daan deHaan. Auch einige Tage danach sind mir noch 4-5
längere Dialogszenen sehr präsent, die ich einerseits von der
schauspielerischen Leistung, von der Chemie auf der Leinwand und andererseits
von der Art und Weise, wie die Geschichte durch sie vorangetrieben wird,
wirklich unglaublich begeisternd fand.
Emma Stone und Andrew Garfield als Gwen Stacy und Peter Parker |
Allen voran die
gemeinsamen Szenen von Peter und Gwen, die sich aufgrund Peter’s Versprechen
gegenüber Gwen’s sterbendem Vater (man erinnere sich an das Ende des ersten
Teils) in einer ständigen On-Off-Beziehung befinden. Wie Andrew Garfield es
fertig bringt, seine innere Zerrissenheit darzustellen, Gwen einerseits nicht
gefährden zu wollen, andererseits aber auch nicht ohne sie leben zu können, ist
eine der herausragenden Stärken dieses Films. Garfield teilt aber auch mit zwei
anderen Darstellern noch zwei fantastische Augenblicke. Zum einen ein Gespräch
mit Sally Field als seine Tante May, als diese herausfindet, dass Peter nach
seinen Eltern und deren Verbindung zu Oscorp forscht. Tante May hat daraufhin
Angst, Peter nicht zu genügen und nicht gut genug für ihn zu sein, woraufhin
Peter sie mit tröstenden Worten beruhigt. Zum anderen gibt es ein langes
Gespräch mit Dane deHaan, als Peter nach langer Zeit seinen alten Kumpel Harry
Osborne wieder trifft. Sie unterhalten sich über dummes Zeug, quatschen über
alte Zeiten, reden aber auch darüber, was Spider-Man für die Stadt und ihre
Bewohner bedeutet (Harry ohne zu wissen, dass er gerade mit Spider-Man selbst redet).
Peter Parker: “I like to think Spider-Man gives people hope.”
Beide Szenen sind
hervorragend gespielt und fügen sich wunderbar in die Geschichte und den lange
Zeit erfrischend gemächlichen Erzählfluss des Filmes ein. Überhaupt ist der
Charakter von Harry Osborne wie ich finde einerseits glaubhaft und überzeugend
geschrieben und andererseits von Dane deHaan wirklich in jeder Szene
elektrisierend und intensiv dargestellt. Hier wächst ein Schauspieler heran,
der mit seinem Charisma und seiner Leinwandpräsenz noch viele denkwürdige
Charaktere verkörpern könnte.
Andrew Garfield (Peter Parker) mit Dane deHaan (Harry Osborne) |
Umso
überraschender und enttäuschender ist, wie plakativ und überzeichnet die beiden
Bösewichte Rhino und Electro geschrieben wurden. Speziell der von Paul
Giamatti dargestellte Rhino, bürgerlicher Name Aleksei Sytsevich, hat für mich nicht einmal den Ansatz einer
Daseinsberechtigung in diesem Film. Er tritt nur in den ersten und dann noch
einmal in den letzten Minuten des Films auf und bringt die eigentliche Handlung
genau so viel voran wie der obligatorische Cameo-Auftritt von Stan Lee. Während
letzterer, obwohl in diesem Film ebenfalls misslungen, durchaus in einen
Marvel-Comic gehört, hätte der Film nichts verloren, wenn es den Charakter
Rhino nicht gegeben hätte. Im Gegenteil, der Film hätte an Dichte gewonnen. Ich
habe wirklich keine Ahnung, was die Drehbuchautoren dazu veranlasst hat, ihn in
diesen Film hinein zu schreiben. Erklären kann man es eigentlich nur so, dass
sie händeringend nach einer Möglichkeit gesucht haben, um die wohl bald ins
Leben gerufenen Sinister Six bereits in diesem Film ein bisschen zu teasen. Leider hat dies beim
Zuschauer eher zu Frustration geführt, als Vorfreude zu wecken, da Rhino
einfach ein grosser Fremdkörper ohne wirkliche Bindung zur restlichen
Geschichte ist.
Noch
gravierender sind die Probleme mit dem Charakter von Max Dillon, welcher
aufgrund eines schlimmen Unfalls in der ersten Hälfte des Films zu Electro
mutiert. Die Grundidee, einen in sich gekehrten, fast schon depressiven und von
seinen Mitmenschen völlig isolierten Charakter mit praktisch unbegrenzter Macht
auszustatten und ihn dann aufgrund seiner Frustration und aufgestauten Wut zum
Bösewicht Electro werden zu lassen, klingt im ersten Moment schlüssig und
plausibel und hätte durchaus funktionieren können. Wird der Charakter
allerdings dermassen überzeichnet präsentiert, wie Jamie Foxx es hier tun
musste, dann ist das schon fast ein offenes Misstrauensvotum gegenüber dem
Publikum, dem offenbar nicht zugetraut wurde, wenigstens ein kleines bisschen
selbst zu denken und vielleicht auch etwas subtilere Hinweise auf einzelne
Charakterzüge selbstständig deuten zu können. Die Dampfhammermethode, mit
welcher Electro, und vor allem Max Dillon, dem Zuschauer vorgeführt wird, hat
letztendlich zur Folge, dass der Bösewicht wie eine Karikatur von etwas wirkt,
vor dem man vielleicht Angst hätte haben können. Es ist schlicht und ergreifend
nicht vorstellbar, dass eine Person wie Max Dillon existiert. Und wenn der
Ursprung eines Bösewichts für den Zuschauer nicht nachvollziehbar ist, wie soll
es der Bösewicht dann bitte selbst sein? Und wenn der Bösewicht nicht funktioniert,
wie soll dann ein Film funktionieren, der sich zu grossen Teilen über die
Beziehung zwischen Protagonist und Antagonist definiert?
Und überhaupt: Warum
hatte man nicht den Mut, einen Superhelden-Film zu drehen, bei dem es wirklich
primär um die Person hinter dem Held und seine Beziehungen und Probleme zu
seinen Mitmenschen geht? Die Ansätze waren da und Marc Webb wäre, das beweisen
die vielen wirklich guten Szenen, für so etwas genau der richtige Mann gewesen.
Die
Lösung, und das ist umso ärgerlicher und soll überhaupt nicht neunmalklug
klingen, wäre so einfach gewesen: Ein Totalverzicht auf Rhino, eine subtilere
und besser ausgearbeitete Einführung von Electro bzw. Max Dillon und ein
Verzicht auf die eine oder andere Actionsequenz. Man muss Spider-Man nicht 20
Mal dabei zusehen, wie er sich von Hochhäusern stürzt und sich durch
Strassenschluchten schwingt. 10 Mal genügen auch.
Vollkommen. Logische Folge wäre eine Verkürzung der Laufzeit von über 2 Stunden
und 20 Minuten auf völlig ausreichende und atmosphärisch dichte 2 Stunden
gewesen. Insgesamt weniger Gewicht auf Spider-Man und seine Bösewichte und mehr
von den wirklich überzeugenden Beziehungen Peter Parker’s zu Gwen, Harry und
Tante May. Dann hätte aus „The Amazing Spider-Man 2“ eine ungewöhnliche und ausserordentliche
Comicverfilmung werden können. So ist es leider nur ein Mix aus Licht und
Schatten geworden, der zwar zu unterhalten und in seinen besten Momenten sogar
tief zu berühren weiss, aber gleichzeitig auch zu viele Angriffspunkte liefert,
um mehr zu sein, als schlicht und ergreifend ein weiterer Spider-Man Film.