Was tun, wenn man in einer scheinbar aussichtslosen und lebensbedrohlichen Situation erfährt, dass die eigene Frau Nachwuchs erwartet? Genau, man verspricht sein Leben von Grund auf zu ändern, hofft darauf, dass man den Kopf noch einmal aus der Schlinge ziehen kann und gräbt. So zumindest macht es Mr. Fox (Stimme: George Clooney), nachdem er und Felicity (Stimme: Meryl Streep), Mrs. Fox, auf Beutezug in einer Geflügelzucht der Fuchsfalle auf den Leim gegangen sind. Beide kommen mit dem Schrecken davon. Aber von nun an ist Mr. Fox dazu verdonnert ein solides Leben zu führen. Gefahr, Nervenkitzel und Risiko ade, speziell nach der Geburt von Ash, dem durchweg unbegabten Fuchssprösslings.
Hier beginnt die eigentliche Geschichte von „Fantastic Mr. Fox“. Zwar bemüht sich der neugebackene Familienvater (dessen Vornamen wir nie erfahren), sein neues gutbürgerliches Leben bestmöglich zu meistern, der Wunsch zur Veränderung der Wohnsituation, raus aus dem unterirdischen und armseligen Fuchsbau – „it makes me feel poor“ –, rein in einen Baum mit wunderschöner Aussicht, ist jedoch nur ein Indiz für die persönliche Unzufriedenheit des gebildeten und philosophierenden – „who am I?“ – Herrn Fuchs. Ein Anflug von Midlifecrisis? Womöglich, nach gut sieben Jahren Fuchsleben. Der Umzug, der als vermeintliche Lösung daherkommt, ist dann schließlich der Anfang vom Ende. Seine Natur, ein wild-animalischer Trieb, kommt Mr. Fox in die Quere und verleitet ihn dazu einen Masterplan auszuarbeiten, um die drei nahegelegenen Landwirte ihrer Erzeugnisse zu erleichtern. Dieser letzte Coup soll ihm selbst noch einmal beweisen, dass er sein früheres Handwerk noch immer beherrscht. Das riecht natürlich nach Ärger und es kommt wie es kommen muss: Buggis, Bunce und Bean sinnen auf Rache und wollen dem diebischen Reineke den Garaus machen. Doch die Tierwelt, unter der Führung von Mr. Fox, lässt sich selbst von einem abgeschossenen Schwanz, vulkankraterähnlichen Ausgrabungsversuchen oder einer Cider-Überschwemmung nicht entmutigen und schlägt mit geballter Cleverness zurück, um den Menschen ihre Grenzen aufzuzeigen.
„Fantastic Mr. Fox“, Wes Andersons erster Animationsfilm, zeichnet sich durch eine extrem liebevolle und detaillierte Annäherung an die Kinderbuchvorlage von Roald Dahl – „James and the Giant Peach“, „Charlie and the Chocolate Factory“, „Matilda“ oder „The Gremlins“ – aus. Tausende von Miniatursets wurden kreiert, Kostüme entworfen und etliche mit Echthaar versehene Puppen gebastelt. Um ein besseres Gefühl für den Entstehungsort der literarischen Vorlage und das Umfeld des Autors zu bekommen, besuchten Anderson und Noah Baumbach zum Drehbuchschreiben sogar Dahls Gypsy Haus und ließen fast das komplette Inventar in klein für den Film nachbauen. Diese Akribie – etwa 24 Stunden reine Dreharbeit für 30 Sekunden Film – sieht man jeder Sequenz des Films an. Andersons Liebe für Außenseitercharaktere, die er in Filmen wie „Tiefseetaucher“, „The Royal Tenenbaums“ und dem von mir hochgeschätzten „Darjeeling Limited“, ist auch in „Mr. Fox“ deutlich wiederzuerkennen und lässt beim Zuschauer eine Mischung aus Mitleid und komischer Verbundenheit entstehen. Der warme Look und die unzähligen (nicht zu erahnenden) Ausdrucksmöglichkeiten durch minimale Fellmodulation untermauern diesen Eindruck. Da haben wir das regelmäßig angstgeschockte Opossum Kylie (Stimme: Walace Wolodarsky), den nichtsnutzigen Jungfuchs Ash (Stimme: Jason Schwartzman), den Bean-Sicherheitschef Rat (Stimme: Willem Dafoe), der nur einmal in seinem Leben einen Schluck Cider kosten möchte, oder Mr. Fox selbst, der an seiner Rolle als verantwortungsbewusstes Familienoberhaupt zu scheitern droht. Nicht jeder ist zum Helden geboren, scheint uns Anderson zurufen zu wollen, doch jeder kann über sich hinauswachsen, wie uns Ash in seinen großen 30 Sekunden beweist, als er einen tollwütigen Beagle auf die schießwütige Menschenmeute hetzt.
Am imposantesten und lustigsten sind für mich jedoch die Szenen, wenn die sonst so kultivierten, domestizierten und bürgerlichen Tiere aus ihrer Haut fahren und die animalische Seite in ihnen durchkommt. Beispielsweise wenn Mr. Fox und Badger (Stimme: Bill Murray) über den Kauf des Baums in Streit geraten. Gefletschte Zähne, gezückte Krallen und ein aggressives umeinander Kreisen ist das Ergebnis einer solchen Ausnahmesituation, die kurz andauert ehe die Vernunft das Animalische wieder in den Griff bekommt. Hier muss ich immer wieder Schmunzeln und bin überrascht, obwohl ich die Szene schon etliche Male gesehen habe. Auch die Tischgewohnheiten, wenn Mr. Fox für Augenblicke seine gute Manieren vergisst, sein Essen zerreißt und in sich hinein schaufelt, um dann wieder in aller Seelenruhe seinen Kaffee(?) zu schlürfen, sind klare Indizien für seine innere Zerrissenheit. In den beschriebenen Situationen steckt die eigentliche Essenz des Films, der viel mehr als wunderbare, warmherzige und extrem lustige Familienunterhaltung ist. Es geht darum, ob wir unsere eigene Natur verleugnen können/dürfen bzw. inwieweit das für uns gut ist. Es geht um Freundschaft, Zusammenhalt und darum, das Beste aus jeder Situation zu machen sowie sich in seiner eigenen Haut zu akzeptieren. Auch das menschliche Verhalten gegenüber der Natur – die Tierwelt ist durch und durch typisch menschlich gezeichnet – ist ein wichtiger Bestandteil des Films, abseits von zu offensichtlichen und gewollten Ökobotschaften. Entgegen der deutlich erkennbaren Menschlichkeit der Tiere, sehen wir aber auch einen Fuchs, der nichts anders tut als seiner Natur nachzugeben indem er seinem Jagdtrieb nachgeht. Durch die Ausbreitung des Menschen nimmt sein natürliches Habitat jedoch kontinuierlich ab, wodurch er gezwungen wird,sich mit der gegebenen Situation zu arrangieren. Endgültig angepasst sind die Tiere dann in der letzten Szene, als sie den Supermarkt übernehmen und die Vielfalt ihres neu gewonnenen Nahrungsangebots feiern. Zwar geht der Zuschauer mit einem positiven Gefühl aus dem Film – die Tiere tanzen ja schließlich vor Freude –, fraglich ist aber, ob das Lächeln von Mr. Fox nicht nur ein erneuter Kompromiss ist. Die Tiere müssen von nun an unterirdisch Leben – inklusive Grundstücksspekulationen – und sind auf von Menschen produzierte Nahrungsquellen angewiesen. Sie haben sich zwar mit der vorgegebenen Situation abgefunden, um nicht vollständig verdrängt, das heißt ausgelöscht zu werden, die von Mr. Fox vormals aber so verehrte Natur – er zieht anfangs mit Mrs. Fox den schöneren dem kürzeren Heimweg vor – ist weit und breit nicht mehr zu sehen. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt und Foxi hat den Glauben nicht aufgegeben, dass es mehr als das reine Überleben geben kann:
„They say our tree may never grow back, but one day something will.” (Mr. Fox)
Mit „Fantastic Mr. Fox“ ist Wes Anderson und seinen 29(!) Filmunits ein unvergessliches Stück Filmgeschichte gelungen. Roald Dahls Vorlage wird die größte Ehre erwiesen, indem den Figuren durch viel Zuneigung und Engagement eigenes Leben eingehaucht wird. Leider ging der Film 2009 im (berechtigten) Hype um „Up“ etwas unter, erhielt aber (ebenfalls berechtigt) durchweg gute Kritiken und jeweils eine Oscar-Nominierung für den besten Animationsfilm und den besten Soundtrack. Mich hat „Fantastic Mr. Fox“ tief berührt. Einige Gründe dafür habe ich versucht oben zu erläutern. Das wohl wichtigste blieb aber bisher unausgesprochen: „Fantastic Mr. Fox“ überträgt die Leidenschaft des Filmemachens in jeder Sekunde seiner Spielzeit auf den Zuschauer und rechtfertigt die aufgebrachte Zeit indem er eine fabelhafte, fantastische Geschichte erzählt.
Hallo Roman,
AntwortenLöschendu hast das Herz und die Seele des Films mit deinem Beitrag sehr gut eingefangen. Ich bin mir sicher, dass Du dadurch viele, die ihn noch nicht kennen, für diesen klasse Film begeistern kannst.
Gerade die Leichtfüßigkeit, mit der dieser Film zentrale und uns allen bekannte Herausforderungen des Lebens darstellt, macht ihn zu einem Must-See Ereignis!
Robert
Ich schliesse mich Robert an! Da kriegt man gleich wieder Lust, den Film zu gucken. Was ich vermisst habe, bzw. was mich interessieren würde: Wer ist eure Lieblingsfigur im Film? Mir hat's Willem Dafoe alias The Rat einfach angetan!! Sensationell:-)
AntwortenLöschenOli
@ Rob: das sollte immer der Anspruch sein: Begeisterung für noch (mehr oder minder) unbekannte Perlen zu wecken! Oder vielleicht auch, wenn sich mal jemand trauen würde, vor einem ganz besonders schlechten Film zu warnen (anyone?).
AntwortenLöschen@ Oli: mir hat es speziell Ash angetan. Das liegt wahrscheinlich an seinem unglaublich tollpatschigen auftreten (starke Identifikation meinerseits)und seinem herzigen Kostüm. Auch den Konflikt mit Kristofferson finde ich hervorragend beleuchtet. Jason Schwartzmans Stimme ergänzt die Figur perfekt.
@ alle: entschuldigt die Verspätung meines letzten Beitrags. Asche auf mein Haupt!