Vorsicht
Klischees!
Ich
sehe mir gerne asiatische Filme an. Ein typischer Eastern hat vornehmlich (um
nicht "ausnahmslos" zu sagen) Charaktere asiatischer Abstammung,
welche im treffendsten Falle auch die typische Mimik und Gestik der asiatischen
Schauspiel-Schule (stakkatohaftes Kopfnicken beim Ansprechen einer Person,
ruckartiges Händeschwingen oder Reagieren auf verschiedene Situationen, etc.)
bis ins Detail ausreizen. Dies trifft auf den Film Ip Man zu (an alle
Informatiker: Es heißt nicht "IP-Man"!).
Ein Eastern bietet meiner
Meinung nach außerdem eine gehörige Portion Action, sei es Kung-Fu Gekloppe
oder bleihaltiges Pistolengewitter. Auch das trifft auf Ip Man zu, jedenfalls
ersteres. Ein typischer Eastern beinhaltet jede Menge Humor, selbst wenn die
Lacher oft nur einer eigentlich höchst fragwürdigen Synchronisationsleistung
zuzuschreiben sind. Beim Ansehen von Ip Man kann man auch mal lachen, mit der Synchro
hat das meistens allerdings nicht viel zu tun.
Die
Hauptmerkmale eines asiatischen Films - jedenfalls nach meiner Definition - hat
Ip Man also. Wieso ist er dennoch in vielen Punkten ein wenig anders im Vergleich
zu seinen üblichen Genre-Kollegen? Die Antwort ist recht einfach - er nimmt
sich zuerst selbst nicht ernst und dann aber plötzlich doch.
Es
folgt ein recht detaillierter Überblick über die Filmhandlung - leider Spoiler
behaftet, aber hoffentlich wenigstens unterhaltsam zu lesen.
Worum
geht es also und was ist ein Ip Man?
Ip Man ist - wenn überhaupt - in der
westlichen Welt eher bekannt unter dem Namen Yip Man, seines Zeichens
Lehrmeister eines gewissen Kung-Fu Genies namens Bruce Lee.
Inwieweit der Filminhalt
sich mit der Lebensgeschichte des echten Yip Man deckt, vermag ich als
ungelernter China-Historiker nicht zu beurteilen, aber man darf guten Gewissens
davon ausgehen, dass an der ein oder anderen Stelle leicht übertrieben oder
etwas hinzugedichtet wurde. Wenn nicht, dann Hut ab, Yip Man.
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Der echte Yip Man - irgendwie knuffig |
Im
Film ist Ip Man, gespielt von Donnie Yen, ein wohlhabender Kung-Fu Meister und
lebt in den 30er Jahren in der chinesischen Stadt Foshan, durchweg als Zentrum
der Kampfkunst bekannt. Diese Beschreibung kommt nicht von ungefähr. So wird
vom Treiben in der Stadt in der ersten Hälfte des Films kaum mehr dargestellt,
als die Hauptstraße, in der sich Kung-Fu Schule an Kung-Fu Schule reiht. Es
versteht sich von selbst, dass jede Schule ihren eigenen Obermacker als Lehrer
hat, dessen Kampfkunst in der Theorie nicht zu schlagen ist. Diese Figuren sind
dabei leicht skurril dargestellt, es sind durch die Bank ziemlich schrullige,
alte Männer; Stereotypen, die dem geneigten Zuschauer sofort aus zig anderen
Kung-Fu Streifen bekannt sein dürften.
Ip
Man selbst aber gibt keinen Unterricht. Er wohnt mit seiner Frau und seinem
Kind in einer schicken Villa leicht außerhalb der Stadt. Kung-Fu ist quasi sein
Hobby und zwar sein einziges wie es scheint, denn er ist ein wahrer Meister des
Wing Chun, einer alten chinesischen Kung-Fu Variante. Ip Man ist auch nicht
schrullig. Er ist ein gebildeter Neureicher, der in der Stadt hohes Ansehen
genießt. Woher der Reichtum der Familie kommt erfährt der Zuschauer nicht. Es
ist allerdings klar, dass Ip Man in seinem Leben noch keiner Arbeit nachkommen
musste. Woher hätte er sonst auch die Freizeit gehabt, um seine Kampftechnik
dermaßen zu perfektionieren? Ip Man macht keinen Hehl aus seinem Status. Er
lässt zwar nicht offenherzig den Dicken raushängen, aber angesprochen auf sein
Kung-Fu Talent ist er immer nur allzu gern bereit, den Wissensdurstigen eine
kleine Lektion mit kostenloser Kung-Fu Moral im One-Liner Format zu erteilen,
verpackt in purster Höflichkeit. Dieser Ip Man stößt überall nur auf Gegenliebe
für sein Können und seine aristokratische Art. Nur in der eigenen Familie
nicht. Der Frau geht das ewige Gekloppe sichtlich auf den Keks, den Sohn
schiebt der Papa für eine ordentliche Keilerei nur zu gern aus dem Weg.
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BÄM! - Die etwas andere Art der Nackenmassage |
Klingt
komisch und ist auch so. Ip Man ist nicht der typische Dummbatz, der vom
unscheinbaren Kung-Fu-Opa aus Langeweile innerhalb von 2 Wochen zur
Kampfmaschine getrimmt wird. Ip Man kann auch so schon lange Kung-Fu. Und zwar
sehr gut und das weiß er auch.
Zugegeben,
das klingt zuerst mal nicht nach einem typischen Sympathieträger, aber Donnie Yen
bringt die Einführungsszenen mit einer solchen erfrischenden Souveränität auf
die Mattscheibe, dass man trotzdem in jedem Moment auf der Seite von Ip Man
steht. Es verströmt schon eine großartige Coolness, wenn ein Kung-Fu Lehrer der
Stadt in der Einleitungsszene des Films bei Ip Man um eine Audienz bittet. In
Wahrheit will dieser nämlich einen Trainingskampf ausfechten, um
herauszufinden, wie sich seine Technik gegen Ip Man's Wing Chun so schlägt.
Leider sitzt die Familie allerdings gerade beim Abendessen, weshalb es leider
nicht zu einem Kampf kommen kann. Das stört allerdings keinen von beiden,
weswegen Ip Man den Kampfgefährten ruckzuck einlädt, sich seiner Familie beim
Essen anzuschließen. Sie schlagen sich also auf Kosten der Nerven von Ip Man's
Frau die Bäuche voll, danach lassen sie sich noch mit Tee und Zigaretten
bedienen, bis sie beiderseits beschließen: Okay! Ein Trainingskampf soll es
sein. Störende Zeugen wie Frau und Kind werden schnurstracks herausbefördert
und der Kampf beginnt. Während all dieser Szenen agiert Donnie Yen's Ip Man so
höflich und zuvorkommend seinem Gast gegenüber, dass man sich wünschte, selbst
mal für ein paar Kung-Fu-mäßige Demütigungen eingeladen zu werden. Denn
selbstredend macht der Kung-Fu Meister aus der Stadt keinen Stich gegen Meister
Ip. Ohne seinen Gast ernsthaft zu gefährden, zeigt er diesem mit wenig Aufwand
ruckzuck die Grenzen auf.
Derartige
Handkanten-Tänze gibt’s in jedem Kung-Fu Film? Schon richtig, aber nur selten
so klasse choreographiert wie hier. Martial Arts Choreographie von Sammo Hung,
sag ich da nur. Der kleine Dicke weiß immer noch, wie’s gemacht wird.
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Staubwedel gegen Schwert - für Ip Man eine der leichtesten Übungen |
Noch
könnte man sagen, die Unterschiede zu den klassischen Eastern seien eher
marginaler Natur. Niemand würde etwas anderes behaupten. Konkrete Diskrepanzen schlagen
hauptsächlich in der zweiten Filmhälfte auf. Oder besser gesagt: Durch den
Kontrast der zweiten Filmhälfte zur ersten. Ist die erste Hälfte noch ein
unterhaltsam-lockerer Hongkong-Streifen, erlebt der Film danach einen herben
Schnitt. In einem kurzen Texteinspieler wird nämlich darauf hingewiesen, dass
China von den Japanern besetzt wurde. Foshan bildet da natürlich keine
Ausnahme. Die Stadt wird von den Japanern eingenommen und Ip Man’s bisherige
Residenz dient fortan dem örtlichen Japaner-Trupp als Einsatzbasis. An dieser
Stelle hätten dem Zuschauer ein, zwei Erklärungen zum historischen Hintergrund
dieser tatsächlichen Ereignisse sicherlich nicht geschadet, denn der Schnitt
vom bunt-witzigen Kung-Fu zum nun folgenden, trist-grauen Kriegs-Szenario
passiert etwas zu plötzlich. Dem chinesischen Publikum wird die eigene
nationale Geschichte aber vermutlich geläufiger sein, so dass man darüber auch
hinwegsehen kann.
Auf
jeden Fall befindet sich das Land, oder besser die Region, mittlerweile unter
japanischer Schirmherrschaft und die Bevölkerung – darunter auch Ip Man und
seine Familie – werden von den Invasoren in Schach gehalten. Der Kung-Fu
Meister lebt nun mit Frau und Sohn in einer notdürftigen Baracke und hat dort
wie so viele mit Hunger und Krankheiten zu kämpfen. Sein Image als Saubermann
haben die restlichen Bewohner allerdings nicht vergessen, weswegen Ip Man bei
der Essensausgabe schon mal bevorzugt behandelt wird. Schlussendlich kommt aber
auch er zur Erkenntnis: Ohne Arbeit geht es nicht, weswegen er sein
Bewerbungsschreiben notgedrungen beim Kohlewerk abgibt, was mittlerweile von
den Japanern geführt wird. Das Vorstellungsgespräch verläuft simpel: ein Mob
halb verhungerter Chinesen winkt auf der Straße dem japanischen Laster zu, der
als Zubringerdienst zum Kohlewerk fungiert, und die Soldaten auf der Ladefläche
hieven dann die Unverschämtesten und Auffälligsten an Bord. Schon hat man den
Job.
Die
Arbeit selbst stellt sich dann aber nicht wirklich als Vergnügen heraus. Von
morgens bis abends müssen
die Chinesen echte Knochenarbeit verrichten. Allerdings bekommen sie dafür Reis
als Bezahlung und ich denke mir ganz ehrlich: Besser als gar nichts. Reis ist
nämlich an allen Ecken und Enden knapp, seit die Japaner die Kontrolle im
Bezirk übernommen haben, da wird jede Möglichkeit gern genutzt, um an ein
Säckchen Reis zu gelangen. Wie passend, dass der Befehlshaber der in Foshan
stationierten Japaner ein großer Kampfkunst-Fan ist. Aus diesem Grund wird im
Kohlewerk auch täglich rumgefragt, wer Lust hätte, sich mit den japanischen
Karate-Kämpfern zu messen. Den Gewinnern winkt zur Belohnung nämlich ein extra
Sack Reis. Klar, dass bei so einem Angebot der Nachschub an Prügelknaben nicht fehlt.
Erstaunlich ist nur, dass die Chinesen wirklich die Möglichkeit haben, gegen
die Japaner zu gewinnen! Und nicht nur das – wer ehrlich gewinnt bekommt
tatsächlich den versprochenen Preis! Es kann aber auch natürlich nach hinten
losgehen, wenn man sich als chinesischer Normalbürger dem japanischen General
stellt, der – wie soll’s auch anders sein – zufällig ein ganz fantastischer Karate
Tiger ist. Ein Schicksal, das zufällig dem einzigen Kumpel Ip Mans zuteil wird,
den er im Kohlewerk hat. Etwas im Busch vermutend, meldet sich Ip Man also am
nächsten Tag selbst für die Arena-Kämpfe, denn er will ja gern herausfinden, wo
sein Freund abgeblieben ist, der am Vortag nicht wieder vom Prügelausflug
zurückgekehrt war. Und wenn Ip Man mal Pech hat, dann aber richtig! Kaum
erreicht er die Kampfarena, erlebt er auch schon mit, wie ein weiter ehemaliger
Freund über den Jordan wandert.
Das
hätten die Japaner besser mal bleiben lassen, denn selbstredend fordert Ip Man
anschließend persönlich eine halbe Brigade von schwarz begurteten
Karatekämpfern auf, sich ihm im Kampf zu stellen. Gleichzeitig, natürlich.
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Vorher ... |
Was
dann folgt steht in meiner Liste von Lieblings-Filmprügeleien an erster Stelle,
zusammen mit Geniestreichen wie dem Kampf von Jackie Chan gegen Benny "The Jet"
Urquidez aus Powerman, der von Tony Jaa zelebrierten Knochenbrech-Orgie im
Tom-Yum-Goong Finale und dem Kampf Kung-Fu-Kämpfer gegen Karate-Schule aus
Bruce Lee's Fist Of Fury bzw. Jet Li's Remake Fist Of
Legend. Donnie Yen zeigt, dass Kung-Fu auch anders geht, als der
klassische spaßige Kampfkunst-Tanz, den man aus der ersten Hälfte des Films
oder anderen typischen Genre-Kollegen gewohnt ist. In lupenreiner FSK-18 Manier
zerlegt er im Handumdrehen die halbe Karate-Staffel - nicht nach dem Motto
"Guck mal, ich bin besser als du", sondern eher á la "Guck mal,
in welchem Winkel dein Arm absteht".
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... nachher |
Es
versteht sich von selbst, dass der japanische General es nicht auf sich sitzen
lassen kann, wenn seine Untergebenen so vorgeführt werden. Erstaunlicherweise
tut er aber genau das doch! Ihn fasziniert vielmehr die überragende Technik von
Ip Man's Kung-Fu. Neugierig, endlich einen gleichwertigen Gegner gefunden zu
haben, organisiert er einen öffentlichen Zweikampf zwischen sich und Ip Man,
durch den der Wille der chinesischen Bevölkerung endgültig gebrochen werden
soll ...
Da
der Film inhaltlich zum Teil als hanebüchener Propaganda-Film mit
geschichtlichem und autobiographischem aber schlussendlich substanzlosem
Hintergrund daherkommt, dürfte keinen überraschen, wie der Film endet. Außerdem
ist der Film rein technisch gesehen Standardkost und schauspielerisch reißt
sich keiner ein Bein aus - obwohl man Donnie Yens Coolness deutlich hervorheben
muss. Allgemein gilt: Auch wenn Yen selbst kein Unbekannter in der asiatischen
Actionfilm-Landschaft ist - der Cast des Films ist unverbraucht und hat
offensichtlich Spaß bei der Sache. Das genügt für einen Film dieser Sparte auf
ganzer Linie.
Womit
Ip Man hingegen ganz eindeutig punktet sind die fantastischen Kampfeinlagen,
bei denen alle Beteiligten eine klasse Arbeit geleistet haben. Es passiert
nicht oft, dass man einen klassischen Kung-Fu Film zu Gesicht bekommt, der eine
ganz eigene Darstellung und Choreographie von Kung-Fu zeigt. Man hat mehr als
nur einmal das Gefühl, solche Bewegungsabläufe und Techniken noch nie gesehen
zu haben. Auch die Struktur der Geschichte mit den beiden gegensätzlichen
Filmhälften macht den Film zu einem bemerkenswerten Vertreter seines Genres und
hält das Interesse beim Zuschauer hoch genug, damit er nicht nur die Minuten
zur nächsten Prügelorgie zählt. Dabei kann sich der Film nur nicht entscheiden,
was er schlussendlich sein möchte, denn für einen Spaß-Film ist er nicht
lustig und für ein Kriegsdrama nicht dramatisch genug. Einen interessanten
Aufhänger für die großartige Action bildet der inhaltliche Rahmen aber allemal.
Allen
Freunden von Handkanten-Action kann ich den Film also nur wärmstens empfehlen.
Wer mal wieder einen echt guten Kung-Fu Film alter Schule sehen will, sollte sich diesen Streifen nicht entgehen lassen!
Alle anderen, die eine differenzierte Auseinandersetzung mit der chinesischen
Besatzungsgeschichte oder sogar ein charakterbasiertes Biopic über Bruce Lees
Lehrmeister suchen, sind hier dann doch an der falschen Adresse.
Persönliche Bewertung: 7 von 10 Backpfeifen