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Vorab // Trotzdem ich den Versuch unternommen habe so wenig wie möglich über die Geschichte beziehungsweise einzelne Szenen zu verraten – der Film soll in Deutschland bedauerlicherweise erst Anfang 2012 in die Kinos kommen –, kann ich doch nicht 100%ig ausschließen, dass sich in meiner übereifernden Begeisterung ein paar Spoiler eingeschlichen hab. Ich bitte um Nachsicht.
Ein Mann. Ein Auto…so könnte man ‚Drive‘, den neuen Film von Nicolas Winding Refn, in Anlehnung an eine allseits beliebte Serie mit sprechendem Auto und The Hoff in der Hauptrolle, auf den ersten Blick beschreiben. Das war‘s dann aber auch schon mit den Parallelen zur Actionserie aus den 80ern. Keine fliegenden Autos, Turbo Boost oder schicke Casio-Uhren. Nur die Schriftfarbe der Titelsequenz weckt kurzzeitig Erinnerungen an die Zeit der Foundation für Recht und Verfassung, ehe wir wieder in die dunklen und gewalttätigen Straßen des L.A. der Jetztzeit entlassen werden.
Der von Ryan Gosling – bereits in ‚Das perfekte Verbrechen‘ und ‚Blue Valentine‘ überaus überzeugend – verkörperte namenlose Fahrer ist alles andere als ein Gesetzeshüter à la Michael Knight. Als unscheinbarer Automechaniker und Stunt-Fahrer tagsüber, macht er sich nachts als wortkarger, stoisch dreinblickender wheel man für Los Angeles‘ kriminelle Szene verdient. Bereits die Anfangssequenz stellt klar heraus: dieser Typ versteht sein Handwerk. Unaufgeregt und ohne sichtbare Gemütsregung, immer mit einem Zahnstocher im Mundwinkel, wartet er auf seine heiße Fracht und lässt sich weder von Streifenwagen noch vom Suchscheinwerfer eines Helikoptern aus der Ruhe bringen. „Kid“, wie er von Shannon (Bryan Cranston – ‚Breaking Bad‘), dem hinkenden Werkstattbesitzer liebevoll genannt wird, ist ein Anti-Held, vergleichbar mit den Protagonisten der Schwarzen Serie, über deren Vergangenheit ein milchiger Schleier liegt. Er taucht irgendwann auf und scheint genauso unvermittelt wieder in die Nacht verschwinden zu können. Präzise getaktet und kraftvoll, wie ein V8 Motor, spult der Protagonist seine Dienste ab, immer darum bemüht keine Aufmerksamkeit zu erregen. Selbst brenzlige Situation werden von seinem emotionslosen, nahezu kalten Gesicht absorbiert. Doch als Nachbarin Irene – die wundervolle und unschuldig spielende, durch ‚An Education‘ bekannte Carey Mulligan – den emotionalen Schutzschild des Fahrers zum Bröckeln bringt, bricht dieser aus seiner Routine aus – mit weitreichenden Konsequenzen.
Neben den wuchtig und exakt getimten Verfolgungsjagden, den hervorragenden und präzisen Bildern und dem treibend-monotonen, äußerst stimmigen Soundtrack, weiß ‚Drive‘ insbesondere durch seine Zurückhaltung zu überzeugen. Refn deutet eine Liebesgeschichte in Blicken, Gesten und Berührungen subtil an und macht die emotionale Bindung zwischen Irene und dem Fahrer dadurch umso stärker. Blicke nehmen über die Spielzeit des Films einen besonderen Stellenwert ein. Sie sind Symbole für Macht und Stärke, werden aber auch als verbindendes Element eingesetzt, was besonders deutlich wird, wenn der Fahrer Irene und ihren Sohn auf eine Spritztour an einige unbekannte, wunderbare, der Rohheit der Stadt entgegenstehende Orte entführt.
Refns Hollywood-Debüt ist rein von der erzählten Geschichte sicherlich nicht innovativ, weiß aber formal zu überzeugen, ohne zur belanglosen Hülle zu verkommen. Auch wenn ‚Drive‘ verglichen zu ‚Valhalla Rising‘ fast schon dialoglastig wirkt, bleibt vieles unausgesprochen, was, in Verbindung mit dem häufigen Gebrauch des Zeitlupeneffekts, die emotionale Spannung befeuert. Ein Vergleich zur testosterontriefenden ‚Fast and Furious‘ Reihe schießt deshalb meilenweit am Ziel vorbei. Vielmehr ist ‚Drive‘ aufgrund seiner rar gesäten Gewaltexzesse, die den Rezipienten wie ein unerwarteter Nackenschlag treffen und daher geschickt Akzente beziehungsweise Brüche in der Handlung akzentuieren, mit Cronenbergs Filmschaffen allgemein, im Besonderen mit ‚A History of Violence‘ zu vergleichen. Speziell die männliche Hauptrolle in ‚Drive‘ ist ähnlich undurchsichtig und mysteriös angelegt und treibt die Spannung sowie die Geschichte gezielt voran. Sowohl der Fahrer mit der Skorpionjacke und den braunen Lederhandschuhen (Gosling) als auch der biedere Café-Besitzer (Mortensen) schwanken zwischen Fassade und Wirklichkeit. Eine strikte Trennung ist hier, trotz extremer Selbstdisziplin, unmöglich, da die Übergänge zwischen beiden Ebenen fließend sind. Während Tom Stall (Mortensen) von dieser eingeholt wird, scheint der Fahrer überhaupt keine Vergangenheit zu haben. Im blitzschnellen Umschalten vom hilfsbereiten Nachbarn zum Mann mit den Eisaugen wird jedoch schnell ersichtlich, dass der Fahrer nicht der unbescholtene Bürger von Nebenan ist.
Mit ‚Drive‘ ist Refn ein meisterhafter Genre-Film gelungen, der sich einbrennt wie heißes Motorenöl. Eine intensive, dramatische Geschichte, die vom hervorragenden Cast, der wunderbaren Kameraarbeit, einem passenden 70er Synthiesoundtrack und dem exakten Schnitt veredelt wird. Refn zeigt uns ein unbekanntes L.A. Ein L.A. wie zuletzt in Michael Manns ‚Heat‘, roh und ohne Weichzeichner. Er beklemmt uns wie Cronenberg und bleibt doch dem eigenen Stil treu.
Auf einem meiner täglichen Streifzüge durch die Tiefen des Webs war es wieder mal soweit. Endstation IMDB um dem schier unstillbaren Hunger nach Filmwissen neue Nahrung zu geben. Lange hatte ich die IMDB Top 250 nicht mehr durchgescrollt und so machte ich mich freudig ans Werk. Beim Betrachten der Liste folgten viele bewundernde Aaaahs und Oooohs, wohlwollendes Nicken und ein imaginärer Klopfer auf die eigene Schulter als ich bei einem Blick zum Wohnzimmerschrank realisierte, dass sich ein Grossteil der Top 50 darin befindet. Doch Moment… Was war das? Platz 6? 12 Angry Men? Die 12 Geschworenen? Zu meiner Schande musste ich mir selbst eingestehen: Noch nie gehört…
Dass dieser Schwarz-Weiss-Klassiker aus dem Jahr 1957 von Filmen wie Zwei glorreiche Halunken, Pulp Fiction, Schindler’s Liste, Einer flog über das Kuckucksnest, Inception und The Dark Knight eingerahmt wurde, entfachte meine Neugier nur noch mehr. Einen Film dieser Güteklasse will kein Filmfan verpassen. Ein Klick auf den Filmtitel offenbarte weitere interessante Aspekte. Regisseur: Die kürzlich im Alter von 86 Jahren verstorbene Regielegende Sidney Lumet. Schauspieler: Henry Fonda. Ein paar Augenblicke später war mein GMX-Postfach um eine Amazon-Bestellbestätigungs-Email reicher.
Die nackten Zahlen klingen dabei zunächst wenig vielversprechend, bestenfalls interessant. Nur 21 Drehtage, ein selbst zu dieser Zeit kümmerliches Budget von 350‘000 $ und von den 96 Minuten Laufzeit spielen 93 Minuten in einem kleinen Raum. Was Sidney Lumet jedoch daraus gemacht hat, ist eine unter die Haut gehende "Charakterstudie im Schnelldurchlauf". Ein Charakterstudie 12 unterschiedlicher Männer, welche mit teils beissender Gesellschaftskritik die Vorurteile und Gleichgültigkeit einer ganzen Nation entlarvte.
Die Geschichte ist schnell erzählt. Ein junger Mann ist wegen Mordes angeklagt und eine aus 12 fremden Männern zusammengewürfelte Jury soll über Schuld oder Unschuld des Angeklagten entscheiden. Dazu werden sie in einen kleinen Raum des Gerichtsgebäudes gesperrt, welchen sie erst bei einem einstimmigen Urteil wieder verlassen können. Die 12 Geschworenen werden dargestellt von Martin Balsam (Geschworener Nr. 1), John Fiedler (Nr. 2), Lee J. Cobb (Nr. 3), E.G. Marshall (Nr. 4), Jack Klugman (Nr. 5), Edward Binns (Nr. 6), Jack Warden (Nr. 7), Henry Fonda (Nr. 8), Joseph Sweeney (Nr. 9), Ed Begley (Nr. 10), George Voskovec (Nr. 11) und Robert Webber (Nr. 12). Jeder von ihnen verdient hier eine namentliche Nennung, da jeder Einzelne die Handlung an verschiedenen Stellen des Filmes voran treibt. Natürlich nimmt Henry Fonda die Starrolle in diesem Ensemble ein, letztendlich ist es jedoch ein Film mit 12 annähernd gleichberechtigten Hauptdarstellern.
In einer ersten Abstimmung ergreift einzig Geschworener Nr. 8 – Henry Fonda – Partei für den Angeklagten. Nr. 8, symbolträchtig in einem weissen Anzug gekleidet, wird auch für den Rest des Filmes versuchen, seine unfreiwilligen Kollegen von der Unschuld des Angeklagten zu überzeugen. Bald bekommt er Unterstützung von Nr. 9 und da diese beiden Männer sich mutig einer wilden Meute entgegenstellen um dem Angeklagten beizustehen, wird ihnen (wenn auch erst am Ende des Filmes) die Ehre zu Teil, dass der Zuschauer ihre Namen erfährt. Mr. Davis und Mr. McCardle. Der Rest der Jury bleibt anonym, nur durch ihre Nummern voneinander zu unterscheiden. Doch wer wird triumphieren? Davis und McCardle oder die auf ein schnelles Todesurteil pochende Mehrheit der Geschworenen? Das Urteil der Jury ist zu Beginn kaum abzusehen, zumal Nr. 8 keine stichhaltigen Beweise für die Unschuld des Angeklagten vorbringen kann, sondern einzig und allein Zweifel an den dargelegten Beweisen für die Schuld des Angeklagten hegt.
Während der immer hitziger geführten Diskussion nimmt Lumet fast unmerklich eine Änderung der Kameraperspektive vor, welche dem Zuschauer unbewusst die Situation der 12 Geschworenen vor Augen führt. Zu Beginn wählt Lumet eine Kameraposition oberhalb der Augenhöhe in Kombination mit einem Normalobjektiv, wodurch der Raum deutlich grösser erscheint. Fast fliessend lässt Lumet die Kamera im Laufe des Filmes jedoch immer weiter nach unten gleiten. Schliesslich, zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt, in der die Anspannung im Raum regelrecht greifbar ist, wird bei einem Grossteil der Szenen eine Kameraposition unterhalb der Augenhöhe mit Teleobjektiven kombiniert. Dadurch wirkt der Raum enger, die Abstände zwischen den Personen wirken kleiner, das Gefühl von Klaustrophobie wird verstärkt. Den Geschworenen und auch dem Zuschauer fällt regelrecht die Decke auf den Kopf. Die sengende Hitze, welche für den Zuschauer aufgrund der Intensität der Bilder beinahe spürbar ist, macht den Männern zusätzlich zu schaffen. In diesem nervenaufreibenden Setting peitscht Lumet seine Protagonisten von einer Konfrontation zur nächsten, bis einige der Geschworenen ihre vordergründige Neutralität ablegen und die wahren Gründe für ihren unverhohlenen Hass offenbaren.
Weshalb 12 Angry Men seinen Platz in oben erwähnter, illustrer Liste von absoluten Topfilmen zweifelsfrei verdient hat, dürfte den meisten Filmliebhabern bereits beim ersten Sehen klar werden. Und am liebsten würde ich all die Uwe Bolls, Paul W. S. Andersons und auch Michael Bays in einen ebenso kleinen Raum sperren wie die 12 Geschworenen und ihnen Lumet's 12 Angry Men vorführen. Immer und immer wieder. Bis auch sie verstanden haben, dass es für einen guten Film so viel mehr, aber eben auch so viel weniger benötigt, als das, was sie uns regelmässig vorsetzen. Herausragende Schauspieler, eine dichte Atmosphäre, eine fesselnde Geschichte und Leute hinter der Kamera, die bei jedem Schnitt exakt zu wissen scheinen, weshalb sie ihn setzen. 12 Angry Men hat all dies. Nicht mehr und nicht weniger.
Die Kritikerwelt war bezüglich der Antworten dieser Fragen gespalten. Derek Malcolm von der London's Evening Standard bemerkt dazu beispielsweise Folgendes: "Never at any point do you feel that there’s anything more to it than a very strange story traversed by a film-maker who knows what he is doing but not always why he is doing it." Eine Aussage, die viele meiner Bekannten, mit denen ich mich über den Film bereits unterhalten habe, unterschreiben würden. Weshalb ich jedoch in keinster Weise damit übereinstimmen kann, will ich im Folgenden erklären. Für mich enthält "Der seltsame Fall des Benjamin Button" eine Vielzahl von Motiven, die aus dem Film wesentlich mehr machen als nur eine originelle Geschichte. Für mich erzählt der Film von Schicksal, Liebe und Tod. Und er erzählt über das Leben, seine Schönheit und auch Vergänglichkeit und wie all diese Aspekte untrennbar miteinander verbunden sind.
Die Geschichte von Benjamin wird uns dabei in Rückblenden erzählt. Eigentlich befinden wir uns in einem Krankenhauszimmer in New Orleans, zusammen mit einer alten, im Sterben liegenden Frau und ihrer Tochter. Draussen wütet der Hurrikan Katrina. Die Tochter soll ihrer Mutter aus einem alten Tagebuch vorlesen und wird im Laufe des Films dadurch von ihrem wahren Vater und der grossen Liebe ihrer Mutter Daisy erfahren. Die Wahl von New Orleans und des Hurrikans Katrina mag im ersten Moment zufällig erscheinen. Ebenso wie die Entscheidung, während des Filmes mehrmals einen Kolibri zu zeigen. Fakt ist jedoch, dass der Kolibri der einzige Vogel auf der Welt ist, der rückwärts fliegen kann. Fakt ist auch, dass sich Hurrikans in der südlichen Hemisphäre im Uhrzeigersinn, in der nördlichen Hemisphäre jedoch gegen den Uhrzeigersinn drehen. Diese sehr subtilen Hinweise paaren sich mit offensichtlicheren Symbolen (wie eine rückwärts laufende Bahnhofsuhr) und stehen somit in perfekter Symbiose mit dem Protagonisten, welcher sein Leben in gewisser (körperlicher, nicht geistiger) Hinsicht rückwärts lebt.
Als Benjamin am Ende des Ersten Weltkriegs in New Orleans geboren wird und seine Mutter bei der Geburt stirbt, setzt sein geschockter Vater den deformierten kleinen Körper vor einem Altersheim aus. Dort findet Benjamin in Queenie - gespielt von Taraji P. Henson - eine liebevolle Ersatzmutter, die ihn niemals nur nach seiner Hülle beurteilt. Zur Verwunderung aller überlebt das kleine schrumpelige Kind und wächst fortan im Altersheim auf. Nach einigen Jahren ist Benjamin, wenn auch geistig noch ein kleiner Junge, vom äusserlichen her kaum von den Altersheimbewohnern zu unterscheiden. Dadurch, dass Benjamin in einem solchen Umfeld aufwächst, muss er schneller und unvorbereiteter als jeder andere Mensch erkennen, dass alles Leben und alle Begegnungen vergängliche Momente sind. Alle Freundschaften, die er knüpft, sind bereits nach viel zu kurzer Zeit wieder beendet. Der Tod ist ein ständiger Begleiter. Benjamin begreift dadurch, dass die Zeit, die uns gegeben ist, umso grössere Bedeutung erhält und dass man sie, unabhängig von den eigenen Voraussetzungen, nutzen und geniessen sollte. Ähnlich ist wohl auch folgendes, wunderschönes Zitat seines späteren Freundes Captain Mike - grandios gespielt von Jared Harris - zu interpretieren: "You can be as mad as a mad dog at the way things went. You could swear, curse the fates, but when it comes to the end, you have to let go." So definiert sich Benjamin niemals, obgleich dies wohl der einfachste Weg für ihn gewesen wäre, über seine "Krankheit", sondern darüber was er tut und was nicht: "Your life is defined by its opportunities... even the ones you miss." Und dass auch vermeintlich schlimme Dinge immer auch eine Chance mit sich bringen können, ist eine der hoffnungsvollen Grundaussagen, die wir aus Benjamin Button mit nach Hause nehmen sollten. Wäre Benjamin nicht im Körper eines alten Mannes geboren worden und wäre seine Mutter nicht bei der Geburt gestorben, so wäre er niemals in diesem Altersheim aufgewachsen und hätte wahrscheinlich niemals die Enkelin einer Altersheimbewohnerin kennengelernt, die die Liebe seines Lebens werden sollte. Ob dies Schicksal oder Zufall zu nennen ist, lässt Fincher im Ermessen des Betrachters und ist bei genauerem Überlegen vielleicht sogar irrelevant.
Als Benjamin die zu diesem Zeitpunkt 7 Jahre alte Daisy kennenlernt, sind beide sofort fasziniert voneinander, wenngleich Benjamin's Äusseres dem eines alten Mannes gleicht. Sie verbringen als "Spielkameraden" glückliche Momente miteinander, doch obwohl beide vielleicht schon wissen, dass sie füreinander bestimmt sind, ist ihre gemeinsame Zeit noch nicht gekommen. So bricht Benjamin, immer noch in der Gestalt eines alten Mannes, eines Tages auf, um die Welt zu erkunden. Auf dieser Entdeckungsreise entwickelt der Film viele wundervolle, teils skurrile Momente, wie beispielsweise der erste Bordellbesuch eines scheinbar alten Mannes, der die Prostituierte erschöpft, befriedigt und überrascht zurücklässt oder die wunderbaren Begegnungen mit der erfahrenen Elizabeth - gespielt von der wunderbaren Tilda Swinton - welche aus der Bekanntschaft zu dem faszinierenden Benjamin neue Leidenschaft und Lebenslust schöpft. So vergehen viele Jahre, und während der Kontakt zwischen Daisy und Benjamin niemals ganz abreisst, entwickelt sich Daisy – nun gespielt von Cate Blanchett - zu einer wunderschönen und jungen Tänzerin. Schliesslich kehrt der deutlich verjüngte Benjamin von seinen Reisen und vom Krieg nach Hause zurück, wo sich ihre Wege nach langer Zeit wieder kreuzen. Daisy ist fasziniert von der Veränderung, welche Benjamin in den Jahren durchgemacht hat. Aus dem alten Greis, der sie damals verlassen hat, ist ein charismatischer Mann um die 50 geworden, der auf sie eine seltsame Anziehungskraft ausübt. Benjamin jedoch, von Daisy's perfektem Aussehen und dem immer noch grossen "Altersunterschied" eingeschüchtert, weist Daisy ab, höchstwahrscheinlich aus Angst sie zu enttäuschen. So geht Daisy zurück zu ihrer Tanzgruppe nach Paris, wo später ein schlimmer Unfall ihre Karriere frühzeitig beenden wird. Fincher zeigt diesen Unfall in einer meisterhaften Montage über die Zeit und den Zufall (oder ist es Schicksal?) und verdeutlicht damit, wie vieles in unserem Leben ausserhalb unserer Kontrolle liegt. Es dürfte eine der besten Sequenzen sein, die Fincher in seiner Karriere als Filmemacher bisher gedreht hat. All die wichtigen Kleinigkeiten setzen sich hier zu einem perfekten Ganzen zusammen.
Benjamin bricht sofort nach Paris auf als er vom Unfall erfährt, um Daisy im Krankenhaus zu besuchen. Mittlerweile haben sich die Vorzeichen jedoch geändert. Während Daisy verletzt und gebrochen im Krankenhausbett in Selbstmitleid versinkt und realisiert, dass sie nie wieder die perfekte Tänzerin sein wird, hat Benjamin alle äusseren Anzeichen eines alten Mannes verloren und entspricht nahezu dem Idealbild. Deshalb ist es diesmal Daisy, die Benjamin abweist und nichts von ihm sehen möchte. Erst als sie ihre Traurigkeit überwindet und sich selbst akzeptieren kann, wie es Benjamin zu Beginn seines Lebens auch tun musste, kehrt Daisy nach New Orleans zurück und die beiden finden endlich zusammen und durchleben glückliche Jahre. Die Liebe, die sie seit Ewigkeiten miteinander verbindet, hat endlich alle Hindernisse überwunden und sie zu einer Zeit zusammen geführt, in der sie wie ein normales Pärchen im gleichen Alter wirken. Beiden ist bewusst, dass sie sich von diesem Startpunkt aus wieder in unterschiedliche Richtungen bewegen und dass Daisy eines Tages zur alten Frau und Benjamin zum kleinen Jungen werden wird. Beiden ist die Vergänglichkeit ihrer Situation bewusst und beide wissen aufgrund ihrer Erfahrungen damit umzugehen. So gelingt es ihnen, ihre gemeinsame Zeit und ihre Liebe trotz oder gerade wegen der kurzen Periode, die ihnen zur Verfügung steht, zu geniessen. Jahre später entschliesst sich Benjamin letztendlich dazu fortzugehen um Daisy und ihrer gemeinsamen Tochter ein normales Leben zu ermöglichen.
Die ganze Geschichte würde dabei nicht funktionieren, ohne die herausragenden Spezialeffekte, mit denen der Regisseur das Alter der beiden Hauptdarsteller vor unseren Augen praktisch beliebig zu variieren vermag. Fincher setzt die Effekte dabei subtil und wirkungsvoll ein und schafft das Kunststück, das gewünschte Alter perfekt darzustellen, ohne die Wiedererkennungswerte von Pitt und Blanchett auch nur einmal zu verfälschen. Desweiteren ist der Film durchzogen von erdigen Farben und in manchen Einstellungen hat man das Gefühl, ein Fotoalbum aus Sepia-Tönen durchzublättern. Diese Farbwahl unterstützt zum einen den melancholischen Grundtenor des Films und passt zum anderen perfekt zu dieser historischen Geschichte, die fast das komplette zwanzigste Jahrhundert vom ersten Weltkrieg bis hin zur Gegenwart durchläuft.
Ich hoffe, die vorangehenden Zeilen verdeutlichen, warum ich es als grundlegend falsch und ungerecht empfinde, Fincher's "Der seltsame Fall des Benjamin Button" allein auf eine unkonventionelle Geschichte zu reduzieren, denn der Film weist eine Vielfältigkeit auf, die den meisten Hollywoodproduktionen fremd ist. Er ist Fantasyfilm, Liebesfilm und Drama in einem. Er ist gespickt mit fantastischen, wenn auch zurückhaltenden Spezialeffekten und er lässt den Zuschauer nachdenklich im Sessel zurück. Man denkt nach über die Liebe. Kann sie wirklich alle Hindernisse überwinden? Man denkt nach über Schicksal. Gibt es so etwas? Oder sind wir alle nur ein Spielball des Zufalls? Haben wir unser Leben selbst in der Hand? Welche Bedeutung hat der Tod? Reisst er uns aus dem Leben und all seinen schönen Dingen heraus oder ist das Leben nur deshalb so wunderschön, weil es nicht ewig währt? Ist es schlimm ein Leben wie Benjamin führen zu müssen bzw. ist es schlimm wenn einem Schlimmes widerfährt? Sicher ist es das, doch Benjamin lehrt uns, dass viel weniger das zählt, was mit uns geschieht, als das, was wir daraus machen.
Viele der Fragen, die der Film für mich aufgeworfen hat, versucht Fincher zum Glück nicht zu beantworten, sondern behandelt sie eher als Denkanstösse für den Zuschauer. Ebenso wird wohl nicht jeder Zuschauer zwangsläufig über die selben Fragen nachdenken. Viele werden ganz andere Aspekte entdecken als diejenigen, die ich zu skizzieren versucht habe. Es ist ein Film, der so vielseitig sein kann, wie das Publikum selbst und diese Tatsache macht für mich den besonderen Reiz an diesem Schmuckstück aus.
Was tun, wenn man in einer scheinbar aussichtslosen und lebensbedrohlichen Situation erfährt, dass die eigene Frau Nachwuchs erwartet? Genau, man verspricht sein Leben von Grund auf zu ändern, hofft darauf, dass man den Kopf noch einmal aus der Schlinge ziehen kann und gräbt. So zumindest macht es Mr. Fox (Stimme: George Clooney), nachdem er und Felicity (Stimme: Meryl Streep), Mrs. Fox, auf Beutezug in einer Geflügelzucht der Fuchsfalle auf den Leim gegangen sind. Beide kommen mit dem Schrecken davon. Aber von nun an ist Mr. Fox dazu verdonnert ein solides Leben zu führen. Gefahr, Nervenkitzel und Risiko ade, speziell nach der Geburt von Ash, dem durchweg unbegabten Fuchssprösslings.
Hier beginnt die eigentliche Geschichte von „Fantastic Mr. Fox“. Zwar bemüht sich der neugebackene Familienvater (dessen Vornamen wir nie erfahren), sein neues gutbürgerliches Leben bestmöglich zu meistern, der Wunsch zur Veränderung der Wohnsituation, raus aus dem unterirdischen und armseligen Fuchsbau – „it makes me feel poor“ –, rein in einen Baum mit wunderschöner Aussicht, ist jedoch nur ein Indiz für die persönliche Unzufriedenheit des gebildeten und philosophierenden – „who am I?“ – Herrn Fuchs. Ein Anflug von Midlifecrisis? Womöglich, nach gut sieben Jahren Fuchsleben. Der Umzug, der als vermeintliche Lösung daherkommt, ist dann schließlich der Anfang vom Ende. Seine Natur, ein wild-animalischer Trieb, kommt Mr. Fox in die Quere und verleitet ihn dazu einen Masterplan auszuarbeiten, um die drei nahegelegenen Landwirte ihrer Erzeugnisse zu erleichtern. Dieser letzte Coup soll ihm selbst noch einmal beweisen, dass er sein früheres Handwerk noch immer beherrscht. Das riecht natürlich nach Ärger und es kommt wie es kommen muss: Buggis, Bunce und Bean sinnen auf Rache und wollen dem diebischen Reineke den Garaus machen. Doch die Tierwelt, unter der Führung von Mr. Fox, lässt sich selbst von einem abgeschossenen Schwanz, vulkankraterähnlichen Ausgrabungsversuchen oder einer Cider-Überschwemmung nicht entmutigen und schlägt mit geballter Cleverness zurück, um den Menschen ihre Grenzen aufzuzeigen.
„Fantastic Mr. Fox“, Wes Andersons erster Animationsfilm, zeichnet sich durch eine extrem liebevolle und detaillierte Annäherung an die Kinderbuchvorlage von Roald Dahl – „James and the Giant Peach“, „Charlie and the Chocolate Factory“, „Matilda“ oder „The Gremlins“ – aus. Tausende von Miniatursets wurden kreiert, Kostüme entworfen und etliche mit Echthaar versehene Puppen gebastelt. Um ein besseres Gefühl für den Entstehungsort der literarischen Vorlage und das Umfeld des Autors zu bekommen, besuchten Anderson und Noah Baumbach zum Drehbuchschreiben sogar Dahls Gypsy Haus und ließen fast das komplette Inventar in klein für den Film nachbauen. Diese Akribie – etwa 24 Stunden reine Dreharbeit für 30 Sekunden Film – sieht man jeder Sequenz des Films an. Andersons Liebe für Außenseitercharaktere, die er in Filmen wie „Tiefseetaucher“, „The Royal Tenenbaums“ und dem von mir hochgeschätzten „Darjeeling Limited“, ist auch in „Mr. Fox“ deutlich wiederzuerkennen und lässt beim Zuschauer eine Mischung aus Mitleid und komischer Verbundenheit entstehen. Der warme Look und die unzähligen (nicht zu erahnenden) Ausdrucksmöglichkeiten durch minimale Fellmodulation untermauern diesen Eindruck. Da haben wir das regelmäßig angstgeschockte Opossum Kylie (Stimme: Walace Wolodarsky), den nichtsnutzigen Jungfuchs Ash (Stimme: Jason Schwartzman), den Bean-Sicherheitschef Rat (Stimme: Willem Dafoe), der nur einmal in seinem Leben einen Schluck Cider kosten möchte, oder Mr. Fox selbst, der an seiner Rolle als verantwortungsbewusstes Familienoberhaupt zu scheitern droht. Nicht jeder ist zum Helden geboren, scheint uns Anderson zurufen zu wollen, doch jeder kann über sich hinauswachsen, wie uns Ash in seinen großen 30 Sekunden beweist, als er einen tollwütigen Beagle auf die schießwütige Menschenmeute hetzt.
Am imposantesten und lustigsten sind für mich jedoch die Szenen, wenn die sonst so kultivierten, domestizierten und bürgerlichen Tiere aus ihrer Haut fahren und die animalische Seite in ihnen durchkommt. Beispielsweise wenn Mr. Fox und Badger (Stimme: Bill Murray) über den Kauf des Baums in Streit geraten. Gefletschte Zähne, gezückte Krallen und ein aggressives umeinander Kreisen ist das Ergebnis einer solchen Ausnahmesituation, die kurz andauert ehe die Vernunft das Animalische wieder in den Griff bekommt. Hier muss ich immer wieder Schmunzeln und bin überrascht, obwohl ich die Szene schon etliche Male gesehen habe. Auch die Tischgewohnheiten, wenn Mr. Fox für Augenblicke seine gute Manieren vergisst, sein Essen zerreißt und in sich hinein schaufelt, um dann wieder in aller Seelenruhe seinen Kaffee(?) zu schlürfen, sind klare Indizien für seine innere Zerrissenheit. In den beschriebenen Situationen steckt die eigentliche Essenz des Films, der viel mehr als wunderbare, warmherzige und extrem lustige Familienunterhaltung ist. Es geht darum, ob wir unsere eigene Natur verleugnen können/dürfen bzw. inwieweit das für uns gut ist. Es geht um Freundschaft, Zusammenhalt und darum, das Beste aus jeder Situation zu machen sowie sich in seiner eigenen Haut zu akzeptieren. Auch das menschliche Verhalten gegenüber der Natur – die Tierwelt ist durch und durch typisch menschlich gezeichnet – ist ein wichtiger Bestandteil des Films, abseits von zu offensichtlichen und gewollten Ökobotschaften. Entgegen der deutlich erkennbaren Menschlichkeit der Tiere, sehen wir aber auch einen Fuchs, der nichts anders tut als seiner Natur nachzugeben indem er seinem Jagdtrieb nachgeht. Durch die Ausbreitung des Menschen nimmt sein natürliches Habitat jedoch kontinuierlich ab, wodurch er gezwungen wird,sich mit der gegebenen Situation zu arrangieren. Endgültig angepasst sind die Tiere dann in der letzten Szene, als sie den Supermarkt übernehmen und die Vielfalt ihres neu gewonnenen Nahrungsangebots feiern. Zwar geht der Zuschauer mit einem positiven Gefühl aus dem Film – die Tiere tanzen ja schließlich vor Freude –, fraglich ist aber, ob das Lächeln von Mr. Fox nicht nur ein erneuter Kompromiss ist. Die Tiere müssen von nun an unterirdisch Leben – inklusive Grundstücksspekulationen – und sind auf von Menschen produzierte Nahrungsquellen angewiesen. Sie haben sich zwar mit der vorgegebenen Situation abgefunden, um nicht vollständig verdrängt, das heißt ausgelöscht zu werden, die von Mr. Fox vormals aber so verehrte Natur – er zieht anfangs mit Mrs. Fox den schöneren dem kürzeren Heimweg vor – ist weit und breit nicht mehr zu sehen. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt und Foxi hat den Glauben nicht aufgegeben, dass es mehr als das reine Überleben geben kann:
„They say our tree may never grow back, but one day something will.” (Mr. Fox)
Mit „Fantastic Mr. Fox“ ist Wes Anderson und seinen 29(!) Filmunits ein unvergessliches Stück Filmgeschichte gelungen. Roald Dahls Vorlage wird die größte Ehre erwiesen, indem den Figuren durch viel Zuneigung und Engagement eigenes Leben eingehaucht wird. Leider ging der Film 2009 im (berechtigten) Hype um „Up“ etwas unter, erhielt aber (ebenfalls berechtigt) durchweg gute Kritiken und jeweils eine Oscar-Nominierung für den besten Animationsfilm und den besten Soundtrack. Mich hat „Fantastic Mr. Fox“ tief berührt. Einige Gründe dafür habe ich versucht oben zu erläutern. Das wohl wichtigste blieb aber bisher unausgesprochen: „Fantastic Mr. Fox“ überträgt die Leidenschaft des Filmemachens in jeder Sekunde seiner Spielzeit auf den Zuschauer und rechtfertigt die aufgebrachte Zeit indem er eine fabelhafte, fantastische Geschichte erzählt.