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Montag, 14. November 2011

17. Filmschau Baden-Württemberg



// 30. November bis 4. Dezember 2011
// Metropol Kino Stuttgart
// Infos: www.filmschaubw.de
// Tickets: in den Innenstadtkinos Stuttgart oder unter
www.innenstadt-kinos.de

Samstag, 5. November 2011

Waltz with Bashir - Eine persönliche Erfahrung


Seit ich hier meinen ersten (und bisher einzigen!) Artikel verfasst habe, sind nun doch schon einige Monate vergangen. In der Zwischenzeit habe ich viele Filme gesehen, bei denen ich mir dachte: "Mensch, dazu kannst Du doch mal wieder was schreiben?!". Manchmal hatte ich dann auch schon den groben Aufbau des Artikels gedanklich durchgespielt und mir sogar einzelne Formulierungen überlegt, noch während ich den Film schaute. Genauso war es dann auch neulich, als ich Waltz with Bashir gesehen habe. Und was hat nun den Ausschlag gegeben, endlich auch etwas zu schreiben?  Es war eine andere Kritik zu dem Film, die ich am nächsten Tag gelesen habe. Denn diese beginnt quasi 1:1 so, wie ich es mir für meinen Artikel vorgenommen hatte, zieht aber dann ein komplett anderes Fazit... also anstatt ne eigene Einleitung mit anderen Worten wieder zu geben, zitiere ich einfach das Original:

"In many ways, this is the hardest review I've ever sat down and committed myself to writing. I regret watching Ari Folman's Waltz with Bashir. No, it's not because it was a waste of time. It wasn't because it was bad filmmaking. On the contrary, it is filmmaking at its finest. Waltz with Bashir is, at the very least, an astounding animated documentary with incredible originality and breathtaking impact, a film that must be watched by anyone with even a passing interest in world affairs or Middle Eastern History."

Soweit bin ich mit Todd Brown auf einer Wellenlänge. Ich bereue es aber aus einem ganz anderen Grund als er, den Film gesehen zu haben (und so gesehen ist "bereuen" eigentlich doch auch das falsche Wort), denn Waltz with Bashir ist einer dieser Filme, die ich jedem gern empfehlen möchte, selbst aber nicht vor habe, ihn ein zweites Mal zu schauen, einfach, weil er durch die Art des Storytelling ganz schön reinhaut.


Aber der Reihe nach: Worum geht es überhaupt in dem Streifen? Waltz with Bashir ist die autobiografische Erzählung der Vorkommnisse im ersten Libanon-Krieg aus Sicht des Regisseurs Ari Folman, der damals als 19-jähriger israelischer Soldat im Libanon stationiert war. Der Film wird in zwei Zeitzonen erzählt, denn er spielt in 2006 und beginnt damit, dass Ari einen etwas seltsamen Besuch seines alten Kameraden Boaz erhält. Boaz wird von einem wiederkehrenden Alptraum geplagt, den er auf seine Erlebnisse im Libanon zurückführt. Er möchte von Ari wissen, wie er sich an diese Tage zurückerinnert, um so etwas mehr Licht in seinen Traum zu bringen. Ari kann ihm dabei nicht wirklich viel helfen, denn er selbst erinnert sich an diese Zeit nur sehr wenig undweiß auch nicht, wann er das letzte Mal überhaupt daran gedacht hat. Das führt dazu, dass Ari selbst ins Grübeln kommt und von nun an versucht seine Bruchstücke wieder zusammen zu setzen. Dies gelingt ihm durch Gespräche mit alten Kameraden, einem Psychologen und einem Reporter. Dabei geht es speziell um die Tage der Ermordung des Milizenführers "Bachir Gemayel" und das darauffolgende Massaker von Sabra und Schatila.

Jetzt muss ich zugeben, dass ich im Vorfeld über diesen Krieg und so ziemlich allem, was damit verbunden ist, überhaupt nichts wusste. Aber das war nicht schlimm. Denn, und das ist der entscheidende Punkt im Vergleich zur Sichtweise von Todd Brown und seinem Review: Waltz with Bashir ist kein Dokumentarfilm und auch keine Geschichtsstunde. Vergleiche mit Michael Moore, die er in seinem Review anführt, sind daher nicht nur fehl am Platze, sondern vollkommen lächerlich.

Folman erzählt eine sehr persönliche und daher auch sehr verzerrte Sicht über Ereignisse, die tatsächlich stattgefunden haben. Dabei helfen ihm auch die persönlichen Eindrücke alter Kameraden, aber auch diese sind subjektiv verzerrt und versuchen nie, eine Art Aufklärung tatsächlicher Ereignisse zu sein. Zu keinem Zeitpunkt hatte ich also das Gefühl, Folman wollte mir sagen "so war das damals nämlich". Seine (geniale) Aussage ist "so habe ich es tief vergraben in meinen Erinnerungen". Er nimmt auch keine pathetische oder politische Stellung ein, sondern versteht es, den Zuschauer mit auf eine Suche nach seiner Wahrheit zu nehmen. Die Frage der Wahrheit und der Schuld ist eigentlich zweit- oder gar drittrangig. Denn die Kernaussage, so profan sie jetzt klingen mag, ist wahr: Krieg ist das absolut Furchtbarste und Unerklärlichste.

Im Vergleich zu klassischen Anti-Kriegsfilmen wie Jarhead, Apocalypse Now oder Full Metal Jacket fühlte ich mich hier allerdings nie wie der stille Beobachter zuhause im Sessel, der eine spannende Geschichte erzählt bekommt, ich fühlte mich irgendwie näher dran, denn der Film schafft den Spagat zwischen der Authentizität einer Nachrichtensendung und der Dramaturgie einer guten Lagerfeuergeschichte (und das soll die unglaubliche Tragik der wahren Ereignisse absolut nicht abwerten!). Wer sich als Zuschauer also stattdessen dazu entscheidet, Waltz with Bashir in erster Linie als Dokumentation zu interpretieren, der tut das auf eigene Gefahr, darf sich dann aber nicht darüber beschweren, der Film gebe kein wirklichkeitsgetreues Abbild der Ereignisse wieder.

Mit Rückblicken zu arbeiten macht alleine noch kein gutes Storytelling, was ist hier also so besonders? Für mich ist der genialste Coup des Films sicherlich die Wahl des Formats: Waltz with Bashir ist ein einzigartig animierter Trickfilm. Anders, als beispielsweise bei Persepolis, dient hier das Format aber niemals dem Zweck, etwas comichaft und damit niedlich oder witzig darzustellen, der Zweck ist viel subtiler und hat bei mir den gewünschten Effekt (den ich nicht vorweg nehmen möchte) auf jeden Fall voll erzielt.

Ich könnte jetzt noch mehr über den Film erzählen, freue mich aber viel lieber auf eine angeregte Diskussion, haut also in die Tasten!

Sonntag, 16. Oktober 2011

Drive – Augenblicke im Leben eines Fahrers

Eigentlich hatte ich mir fest vorgenommen in meinem nächsten Artikel über ‚Valhalla Rising‘ zu schreiben, das abstrakte und nahezu stumme Kriegerepos des dänischen Regisseurs Nicolas Winding Refn mit Mads Mikkelsen in der Hauptrolle. Doch die Aufregung rund um das neue Werk des Regisseurs, der sich mit der Pusher-Trilogie im europäischen Art-House Kino bereits einen Namen gemacht hat, machte mich neugierig. Dann doch lieber abwarten was da kommen mag. Es hat sich gelohnt…

Vorab // Trotzdem ich den Versuch unternommen habe so wenig wie möglich über die Geschichte beziehungsweise einzelne Szenen zu verraten – der Film soll in Deutschland bedauerlicherweise erst Anfang 2012 in die Kinos kommen –, kann ich doch nicht 100%ig ausschließen, dass sich in meiner übereifernden Begeisterung ein paar Spoiler eingeschlichen hab. Ich bitte um Nachsicht.

Ein Mann. Ein Auto…so könnte man ‚Drive‘, den neuen Film von Nicolas Winding Refn, in Anlehnung an eine allseits beliebte Serie mit sprechendem Auto und The Hoff in der Hauptrolle, auf den ersten Blick beschreiben. Das war‘s dann aber auch schon mit den Parallelen zur Actionserie aus den 80ern. Keine fliegenden Autos, Turbo Boost oder schicke Casio-Uhren. Nur die Schriftfarbe der Titelsequenz weckt kurzzeitig Erinnerungen an die Zeit der Foundation für Recht und Verfassung, ehe wir wieder in die dunklen und gewalttätigen Straßen des L.A. der Jetztzeit entlassen werden.

Der von Ryan Gosling – bereits in ‚Das perfekte Verbrechen‘ und ‚Blue Valentine‘ überaus überzeugend – verkörperte namenlose Fahrer ist alles andere als ein Gesetzeshüter à la Michael Knight. Als unscheinbarer Automechaniker und Stunt-Fahrer tagsüber, macht er sich nachts als wortkarger, stoisch dreinblickender wheel man für Los Angeles‘ kriminelle Szene verdient. Bereits die Anfangssequenz stellt klar heraus: dieser Typ versteht sein Handwerk. Unaufgeregt und ohne sichtbare Gemütsregung, immer mit einem Zahnstocher im Mundwinkel, wartet er auf seine heiße Fracht und lässt sich weder von Streifenwagen noch vom Suchscheinwerfer eines Helikoptern aus der Ruhe bringen. „Kid“, wie er von Shannon (Bryan Cranston – ‚Breaking Bad‘), dem hinkenden Werkstattbesitzer liebevoll genannt wird, ist ein Anti-Held, vergleichbar mit den Protagonisten der Schwarzen Serie, über deren Vergangenheit ein milchiger Schleier liegt. Er taucht irgendwann auf und scheint genauso unvermittelt wieder in die Nacht verschwinden zu können. Präzise getaktet und kraftvoll, wie ein V8 Motor, spult der Protagonist seine Dienste ab, immer darum bemüht keine Aufmerksamkeit zu erregen. Selbst brenzlige Situation werden von seinem emotionslosen, nahezu kalten Gesicht absorbiert. Doch als Nachbarin Irene – die wundervolle und unschuldig spielende, durch ‚An Education‘ bekannte Carey Mulligan – den emotionalen Schutzschild des Fahrers zum Bröckeln bringt, bricht dieser aus seiner Routine aus – mit weitreichenden Konsequenzen.

Neben den wuchtig und exakt getimten Verfolgungsjagden, den hervorragenden und präzisen Bildern und dem treibend-monotonen, äußerst stimmigen Soundtrack, weiß ‚Drive‘ insbesondere durch seine Zurückhaltung zu überzeugen. Refn deutet eine Liebesgeschichte in Blicken, Gesten und Berührungen subtil an und macht die emotionale Bindung zwischen Irene und dem Fahrer dadurch umso stärker. Blicke nehmen über die Spielzeit des Films einen besonderen Stellenwert ein. Sie sind Symbole für Macht und Stärke, werden aber auch als verbindendes Element eingesetzt, was besonders deutlich wird, wenn der Fahrer Irene und ihren Sohn auf eine Spritztour an einige unbekannte, wunderbare, der Rohheit der Stadt entgegenstehende Orte entführt.

Refns Hollywood-Debüt ist rein von der erzählten Geschichte sicherlich nicht innovativ, weiß aber formal zu überzeugen, ohne zur belanglosen Hülle zu verkommen. Auch wenn ‚Drive‘ verglichen zu ‚Valhalla Rising‘ fast schon dialoglastig wirkt, bleibt vieles unausgesprochen, was, in Verbindung mit dem häufigen Gebrauch des Zeitlupeneffekts, die emotionale Spannung befeuert. Ein Vergleich zur testosterontriefenden ‚Fast and Furious‘ Reihe schießt deshalb meilenweit am Ziel vorbei. Vielmehr ist ‚Drive‘ aufgrund seiner rar gesäten Gewaltexzesse, die den Rezipienten wie ein unerwarteter Nackenschlag treffen und daher geschickt Akzente beziehungsweise Brüche in der Handlung akzentuieren, mit Cronenbergs Filmschaffen allgemein, im Besonderen mit ‚A History of Violence‘ zu vergleichen. Speziell die männliche Hauptrolle in ‚Drive‘ ist ähnlich undurchsichtig und mysteriös angelegt und treibt die Spannung sowie die Geschichte gezielt voran. Sowohl der Fahrer mit der Skorpionjacke und den braunen Lederhandschuhen (Gosling) als auch der biedere Café-Besitzer (Mortensen) schwanken zwischen Fassade und Wirklichkeit. Eine strikte Trennung ist hier, trotz extremer Selbstdisziplin, unmöglich, da die Übergänge zwischen beiden Ebenen fließend sind. Während Tom Stall (Mortensen) von dieser eingeholt wird, scheint der Fahrer überhaupt keine Vergangenheit zu haben. Im blitzschnellen Umschalten vom hilfsbereiten Nachbarn zum Mann mit den Eisaugen wird jedoch schnell ersichtlich, dass der Fahrer nicht der unbescholtene Bürger von Nebenan ist.

Mit ‚Drive‘ ist Refn ein meisterhafter Genre-Film gelungen, der sich einbrennt wie heißes Motorenöl. Eine intensive, dramatische Geschichte, die vom hervorragenden Cast, der wunderbaren Kameraarbeit, einem passenden 70er Synthiesoundtrack und dem exakten Schnitt veredelt wird. Refn zeigt uns ein unbekanntes L.A. Ein L.A. wie zuletzt in Michael Manns ‚Heat‘, roh und ohne Weichzeichner. Er beklemmt uns wie Cronenberg und bleibt doch dem eigenen Stil treu.

Montag, 10. Oktober 2011

Sucker Punch – "Stunned, stupefied, anesthetized, lobotomized"


Ein unerwarteter Schlag. In etwa so lässt sich der Titel von Zack Snyder's Machwerk frei übersetzen. Dass ihm dies, zumindest bei mir, zweifelsfrei gelungen ist, mag ich an dieser Stelle keineswegs bestreiten. Ich wage jedoch zu behaupten, dass er sich das grundlegend anders vorgestellt hatte. Snyder hatte wohl die Intention, bombastische Schauplätze und fantastische Action auf innovative Art und Weise mit einer realistischen Geschichte zu verbinden, welche schliesslich ein überraschendes Ende findet.

Dass Snyder aus diesem durchaus vielversprechenden Ansatz ein vielleicht nicht gänzlich ideenloses, dafür aber völlig seelen- und sinnloses Baukastensystem ohne jegliche Spannung gemacht hat, ist für mich tatsächlich ein harter Schlag. Und unerwartet war es obendrein, zumal sich Snyder bis zu diesem Zeitpunkt mit wenigen Filmen einen durchaus respektablen Ruf erarbeitet hatte: Dem erschreckend guten Remake von Dawn of the Dead im Jahre 2004 liess er 2006 das visuell überwältigende und zumindest bei Männern überaus beliebte Testosteronspektakel 300 folgen. Mit Watchmen drehte er 2009 die aus meiner Sicht bestmögliche und ebenfalls visuell bahnbrechende Verfilmung eines nahezu unverfilmbaren Kultcomics. Vor Sucker Punch liess er 2010 dann noch den völlig unterschätzten Animationsfilm Legend of the Guardians: The Owls of Ga 'Hoole folgen.

Weshalb habe ich mich beim Sehen von Sucker Punch also so gefühlt, wie es das titelgebende Zitat von Zelda Fitzgerald aus Woody Allen's Midnight in Paris wohl am besten ausdrückt? "Stunned, stupefied, anesthetized, lobotomized…" Um dies zu erläutern, muss ich auf einige K(n)ackpunkte der Geschichte eingehen, weshalb ich denjenigen, welche den Film noch nicht gesehen haben, ihn aber gerne noch vorurteils- und spoilerfrei sehen möchten (Anmerkung: Der Autor rät dazu, diesen Wunsch nochmals gründlich zu überdenken), vom Weiterlesen abraten muss.

Zu Beginn des Films wird eine junge Frau, gespielt von Emily Browning, von ihrem bösen Stiefvater nach dem Tod ihrer Mutter und ihrer Schwester in eine Nervenanstalt eingewiesen, mit der trüben Aussicht in 5 Tagen aufgrund ihrer angeblichen Geistesgestörtheit einer Lobotomie unterzogen zu werden. Snyder muss sich selbst eindeutig als reinen Fantasy-Regisseur sehen. Andernfalls ist es nämlich kaum zu erklären, warum er diese realistische Handlungsebene verlässt, welche genügend Potential für einen klaustrophobischen Thriller geboten hätte. Stattdessen bewegt er sich fortan praktisch nur noch in verschiedenen Traumebenen um den Fluchtversuch von Babydoll und vier ihrer Mitinsassinnen zu beschreiben. Wer beim Wort Traumebene an das bereits heute unsterbliche Genre-Meisterwerk Inception denkt, sei jedoch gewarnt. Dort besitzt jede Traumebene eine eigenständige Handlung und doch werden die Handlungen der höheren Traumebenen durch die tieferen Ebenen massgeblich beeinflusst. Die einzelnen unterschiedlichen Bauteile bilden ein homogenes und hochkomplexes Ganzes. Nichts läge Sucker Punch ferner, als nach einer solchen Vielfältigkeit und Vernetztheit zu streben. Im Grunde genommen bewegt sich die Story immer auf der obersten Ebene, nur dass der Zuschauer eben genau diese Ebene fast nie zu Gesicht bekommt. Man könnte Snyder vorwerfen, dass er selbst nicht an seine Geschichte und ihr Potential geglaubt und deshalb die Flucht in die Special Effects gewählt hat. Warum sollte er sonst ein wahres CGI-Feuerwerk für etwas zünden, das eigentlich gar nicht passiert? Eine böswilligere Interpretation wäre, dass Snyder gar keine Geschichte erzählen, sondern einfach ein Spektakel und knapp bekleidete Mädchen präsentieren wollte.

Anstatt also weiter das Geschehen in der Anstalt zu verfolgen, hat der Zuschauer keine Wahl und muss Babydoll in ihre erste Traumebene folgen. Dass diese Traumebene nicht mehr in einer Nervenanstalt, sondern einem Bordell spielt und dass die drohende Lobotomie durch den Verlust der Jungfräulichkeit ersetzt wird, kommt dem Regisseur gerade recht… Damit die Mädels ihre Flucht in die Tat umsetzen können, müssen sie fünf verschiedene Dinge, wie beispielsweise eine Karte oder ein Messer, stehlen. In allen Fällen ist dies nur dann möglich, wenn Babydoll ihren scheinbar hypnotisierenden Tanz aufführt um die betreffenden Personen abzulenken. Das mag beim Stehlen der Karte noch halbwegs plausibel erscheinen, als jedoch das Messer des Küchenchefs gestohlen werden soll und dieser hypnotisiert vor der tanzenden Babydoll sitzt, wirkt diese Idee einfach nur noch lächerlich.

Die Tanzszenen werden dabei nie wirklich gezeigt, sondern durch eine zweite Traumebene ersetzt. Dies wird im Film damit erklärt, dass sich die schüchterne Babydoll in diese zweite Traumebene denken muss, um ihren Tanz aufführen zu können. In Wahrheit trägt die zweite Traumebene, wie bereits die erste, jedoch nichts zur eigentlichen Handlung bei, sondern ist nur eine übertriebene Darstellung dessen, was eine Ebene darüber gerade passiert. Warum sich Snyder dazu entschlossen hat, diese zweite Traumebene in seinen Film aufzunehmen, kann mehrere Gründe haben. Dem Leser steht es frei, sich einem der unten aufgelisteten Erklärungsversuche (oder einer Kombination davon) anzuschliessen:

1. Emily Browning ist zwar süss anzusehen, kann aber nicht tanzen.
2. Snyder hat spätestens bei der angesprochenen Szene mit dem Küchenchef realisiert, wie lächerlich der Storypunkt mit der "Ablenkung/Hypnotisierung durch Tanzen" wirklich ist und wollte davon ablenken.
3. Snyder hat nach dem Schneiden des Filmes gemerkt, dass seine Endfassung nur 13 Minuten Länge aufwies und hat danach in einem aufwendigen Nachdreh noch eine Traumebene hinzugefügt.
4. Snyder hat realisiert, dass mehrere identische Tanzszenen dem Film schaden könnten. Um davon abzulenken, dass dem Zuschauer im Grunde genommen mehrmals die gleiche Szene präsentiert wird, wurden die einzelnen Tänze also einfach durch verschiedene Fantasywelten ersetzt.
5. Snyder ist eines Nachts mit folgender genialer Idee aufgewacht: "Was ist besser als leicht bekleidete Mädchen? Na logo, leicht bekleidete Mädchen, die wie wild mit Waffen um sich ballern!"
6. Auf den ersten beiden Ebenen benötigte Snyder praktisch keine Spezialeffekte, was ihm nicht richtig erschien.

Nunja… so mähen die Mädels in den verschiedenen Welten also reihenweise (und vorzugsweise in Slow Motion) riesige Samurais, dreckige Orkse, Nazizombies und Drachen nieder um ihre verschiedenen Missionen pflichtbewusst zu erfüllen. Was in einem sinnvollen Kontext durchaus hätte funktionieren können, langweilt nach der dritten Zeitlupe einfach nur noch und der Zuschauer denkt sich: "Ja, das sah jetzt schon ganz cool aus, aber Moment… das passiert ja alles gar nicht wirklich… die Kleine ist ja am Tanzen… ach nee, Moment… den Tanz bildet sie sich irgendwie ja auch nur ein… was macht sie eigentlich gerade wirklich? Ach egal…" Irgendwann (eigentlich sogar ziemlich schnell) war mir dann auch egal, ob Babydoll ihre drohende Lobotomie abwenden kann oder nicht, so wenig Verbindung konnte ich mit den Hauptcharakteren aufbauen. Ich fühlte mich regelrecht lobotomisiert, zu keiner Gefühlsregung mehr fähig…

Was soll ich also schreiben? Bis vor kurzem mochte ich den Regisseur Snyder noch sehr und wenn ich an seine anderen vier bisherigen Filme denke, so fällt es mir auch keineswegs schwer, ihn immer noch sehr zu mögen. Wohlgemerkt waren seine früheren Projekte jedoch allesamt Adaptionen bereits bestehender Stoffe, während er mit Sucker Punch das erste Mal etwas aus der eigenen Feder verfilmte. In ein paar Jahren wird er vielleicht die Grösse haben und sagen: "Ich bin stolz auf fast alle meiner bisherigen Filme, aber was ich mit Sucker Punch verbrochen habe, bereitet mir auch heute noch schlaflose Nächte. Entschuldigung!" Vielleicht ist das alles aber auch nur die subjektive Meinung eines Filmfans, der sich einen anderen Film erhofft hatte. Andere mögen in dem Film etwas erkennen, das ich nicht im Stande bin zu sehen. Was mich betrifft, so werde ich mir demnächst wieder 300 in meinen BluRay-Player schieben, Leonidas und seine Mannen nach vorne brüllen und mich danach verhalten auf Snyder's nächste Projekte freuen. Dieser eine Ausrutscher sei ihm verziehen.

Freitag, 15. Juli 2011

12 Angry Men – “Life Is In Their Hands, Death Is On Their Minds!”


Auf einem meiner täglichen Streifzüge durch die Tiefen des Webs war es wieder mal soweit. Endstation IMDB um dem schier unstillbaren Hunger nach Filmwissen neue Nahrung zu geben. Lange hatte ich die IMDB Top 250 nicht mehr durchgescrollt und so machte ich mich freudig ans Werk. Beim Betrachten der Liste folgten viele bewundernde Aaaahs und Oooohs, wohlwollendes Nicken und ein imaginärer Klopfer auf die eigene Schulter als ich bei einem Blick zum Wohnzimmerschrank realisierte, dass sich ein Grossteil der Top 50 darin befindet. Doch Moment… Was war das? Platz 6? 12 Angry Men? Die 12 Geschworenen? Zu meiner Schande musste ich mir selbst eingestehen: Noch nie gehört…

Dass dieser Schwarz-Weiss-Klassiker aus dem Jahr 1957 von Filmen wie Zwei glorreiche Halunken, Pulp Fiction, Schindler’s Liste, Einer flog über das Kuckucksnest, Inception und The Dark Knight eingerahmt wurde, entfachte meine Neugier nur noch mehr. Einen Film dieser Güteklasse will kein Filmfan verpassen. Ein Klick auf den Filmtitel offenbarte weitere interessante Aspekte. Regisseur: Die kürzlich im Alter von 86 Jahren verstorbene Regielegende Sidney Lumet. Schauspieler: Henry Fonda. Ein paar Augenblicke später war mein GMX-Postfach um eine Amazon-Bestellbestätigungs-Email reicher.

Die nackten Zahlen klingen dabei zunächst wenig vielversprechend, bestenfalls interessant. Nur 21 Drehtage, ein selbst zu dieser Zeit kümmerliches Budget von 350‘000 $ und von den 96 Minuten Laufzeit spielen 93 Minuten in einem kleinen Raum. Was Sidney Lumet jedoch daraus gemacht hat, ist eine unter die Haut gehende "Charakterstudie im Schnelldurchlauf". Ein Charakterstudie 12 unterschiedlicher Männer, welche mit teils beissender Gesellschaftskritik die Vorurteile und Gleichgültigkeit einer ganzen Nation entlarvte.

Die Geschichte ist schnell erzählt. Ein junger Mann ist wegen Mordes angeklagt und eine aus 12 fremden Männern zusammengewürfelte Jury soll über Schuld oder Unschuld des Angeklagten entscheiden. Dazu werden sie in einen kleinen Raum des Gerichtsgebäudes gesperrt, welchen sie erst bei einem einstimmigen Urteil wieder verlassen können. Die 12 Geschworenen werden dargestellt von Martin Balsam (Geschworener Nr. 1), John Fiedler (Nr. 2), Lee J. Cobb (Nr. 3), E.G. Marshall (Nr. 4), Jack Klugman (Nr. 5), Edward Binns (Nr. 6), Jack Warden (Nr. 7), Henry Fonda (Nr. 8), Joseph Sweeney (Nr. 9), Ed Begley (Nr. 10), George Voskovec (Nr. 11) und Robert Webber (Nr. 12). Jeder von ihnen verdient hier eine namentliche Nennung, da jeder Einzelne die Handlung an verschiedenen Stellen des Filmes voran treibt. Natürlich nimmt Henry Fonda die Starrolle in diesem Ensemble ein, letztendlich ist es jedoch ein Film mit 12 annähernd gleichberechtigten Hauptdarstellern.

In einer ersten Abstimmung ergreift einzig Geschworener Nr. 8 – Henry Fonda – Partei für den Angeklagten. Nr. 8, symbolträchtig in einem weissen Anzug gekleidet, wird auch für den Rest des Filmes versuchen, seine unfreiwilligen Kollegen von der Unschuld des Angeklagten zu überzeugen. Bald bekommt er Unterstützung von Nr. 9 und da diese beiden Männer sich mutig einer wilden Meute entgegenstellen um dem Angeklagten beizustehen, wird ihnen (wenn auch erst am Ende des Filmes) die Ehre zu Teil, dass der Zuschauer ihre Namen erfährt. Mr. Davis und Mr. McCardle. Der Rest der Jury bleibt anonym, nur durch ihre Nummern voneinander zu unterscheiden. Doch wer wird triumphieren? Davis und McCardle oder die auf ein schnelles Todesurteil pochende Mehrheit der Geschworenen? Das Urteil der Jury ist zu Beginn kaum abzusehen, zumal Nr. 8 keine stichhaltigen Beweise für die Unschuld des Angeklagten vorbringen kann, sondern einzig und allein Zweifel an den dargelegten Beweisen für die Schuld des Angeklagten hegt.

Während der immer hitziger geführten Diskussion nimmt Lumet fast unmerklich eine Änderung der Kameraperspektive vor, welche dem Zuschauer unbewusst die Situation der 12 Geschworenen vor Augen führt. Zu Beginn wählt Lumet eine Kameraposition oberhalb der Augenhöhe in Kombination mit einem Normalobjektiv, wodurch der Raum deutlich grösser erscheint. Fast fliessend lässt Lumet die Kamera im Laufe des Filmes jedoch immer weiter nach unten gleiten. Schliesslich, zu einem fortgeschrittenen Zeitpunkt, in der die Anspannung im Raum regelrecht greifbar ist, wird bei einem Grossteil der Szenen eine Kameraposition unterhalb der Augenhöhe mit Teleobjektiven kombiniert. Dadurch wirkt der Raum enger, die Abstände zwischen den Personen wirken kleiner, das Gefühl von Klaustrophobie wird verstärkt. Den Geschworenen und auch dem Zuschauer fällt regelrecht die Decke auf den Kopf. Die sengende Hitze, welche für den Zuschauer aufgrund der Intensität der Bilder beinahe spürbar ist, macht den Männern zusätzlich zu schaffen. In diesem nervenaufreibenden Setting peitscht Lumet seine Protagonisten von einer Konfrontation zur nächsten, bis einige der Geschworenen ihre vordergründige Neutralität ablegen und die wahren Gründe für ihren unverhohlenen Hass offenbaren.

Weshalb 12 Angry Men seinen Platz in oben erwähnter, illustrer Liste von absoluten Topfilmen zweifelsfrei verdient hat, dürfte den meisten Filmliebhabern bereits beim ersten Sehen klar werden. Und am liebsten würde ich all die Uwe Bolls, Paul W. S. Andersons und auch Michael Bays in einen ebenso kleinen Raum sperren wie die 12 Geschworenen und ihnen Lumet's 12 Angry Men vorführen. Immer und immer wieder. Bis auch sie verstanden haben, dass es für einen guten Film so viel mehr, aber eben auch so viel weniger benötigt, als das, was sie uns regelmässig vorsetzen. Herausragende Schauspieler, eine dichte Atmosphäre, eine fesselnde Geschichte und Leute hinter der Kamera, die bei jedem Schnitt exakt zu wissen scheinen, weshalb sie ihn setzen. 12 Angry Men hat all dies. Nicht mehr und nicht weniger.

Freitag, 11. März 2011

nottuB nimajneB fo esaC suoiruC ehT

Eine alte Frau hält ein Baby in ihrem Arm. Das Kind liegt im Sterben. Es ist die Liebe ihres Lebens. Um diese Szene zu begreifen muss man die über zweieinhalb vorhergehenden Stunden gesehen haben, welche in diesem auf den ersten Blick abstrus anmutenden Bild gipfeln. Soviel Zeit nimmt sich David Fincher um uns den seltsamen Fall eines nicht ganz normalen Mannes namens Benjamin Button – gespielt von Brad Pitt - zu erzählen. Bei keinem anderen Film (ausser vielleicht Memento) erscheint es passender, ein Review mit dem Ende des Filmes zu beginnen, denn auch für Benjamin Button geschieht vieles in umgekehrter Reihenfolge. Geboren in dem Körper eines alten Mannes muss Benjamin Tag für Tag die Tücken des alltäglichen Lebens meistern, während sich sein Körper im Laufe seines langen Lebens immer weiter verjüngt. Zweifelsohne eine sehr seltsame Geschichte. Die Fragen, die sich jeder Zuschauer stellen und selbst beantworten sollte, lauten: "Ist das alles? Bietet mir der Film nur diese aussergewöhnliche Grundidee? Oder ist da mehr? Nutzt Fincher diese unkonventionelle Geschichte um uns etwas über unser Leben zu erzählen? Um unser Leben aus einer alternativen Perspektive zu beleuchten?"

Die Kritikerwelt war bezüglich der Antworten dieser Fragen gespalten. Derek Malcolm von der London's Evening Standard bemerkt dazu beispielsweise Folgendes: "Never at any point do you feel that there’s anything more to it than a very strange story traversed by a film-maker who knows what he is doing but not always why he is doing it." Eine Aussage, die viele meiner Bekannten, mit denen ich mich über den Film bereits unterhalten habe, unterschreiben würden. Weshalb ich jedoch in keinster Weise damit übereinstimmen kann, will ich im Folgenden erklären. Für mich enthält "Der seltsame Fall des Benjamin Button" eine Vielzahl von Motiven, die aus dem Film wesentlich mehr machen als nur eine originelle Geschichte. Für mich erzählt der Film von Schicksal, Liebe und Tod. Und er erzählt über das Leben, seine Schönheit und auch Vergänglichkeit und wie all diese Aspekte untrennbar miteinander verbunden sind.

Die Geschichte von Benjamin wird uns dabei in Rückblenden erzählt. Eigentlich befinden wir uns in einem Krankenhauszimmer in New Orleans, zusammen mit einer alten, im Sterben liegenden Frau und ihrer Tochter. Draussen wütet der Hurrikan Katrina. Die Tochter soll ihrer Mutter aus einem alten Tagebuch vorlesen und wird im Laufe des Films dadurch von ihrem wahren Vater und der grossen Liebe ihrer Mutter Daisy erfahren. Die Wahl von New Orleans und des Hurrikans Katrina mag im ersten Moment zufällig erscheinen. Ebenso wie die Entscheidung, während des Filmes mehrmals einen Kolibri zu zeigen. Fakt ist jedoch, dass der Kolibri der einzige Vogel auf der Welt ist, der rückwärts fliegen kann. Fakt ist auch, dass sich Hurrikans in der südlichen Hemisphäre im Uhrzeigersinn, in der nördlichen Hemisphäre jedoch gegen den Uhrzeigersinn drehen. Diese sehr subtilen Hinweise paaren sich mit offensichtlicheren Symbolen (wie eine rückwärts laufende Bahnhofsuhr) und stehen somit in perfekter Symbiose mit dem Protagonisten, welcher sein Leben in gewisser (körperlicher, nicht geistiger) Hinsicht rückwärts lebt.

Als Benjamin am Ende des Ersten Weltkriegs in New Orleans geboren wird und seine Mutter bei der Geburt stirbt, setzt sein geschockter Vater den deformierten kleinen Körper vor einem Altersheim aus. Dort findet Benjamin in Queenie - gespielt von Taraji P. Henson - eine liebevolle Ersatzmutter, die ihn niemals nur nach seiner Hülle beurteilt. Zur Verwunderung aller überlebt das kleine schrumpelige Kind und wächst fortan im Altersheim auf. Nach einigen Jahren ist Benjamin, wenn auch geistig noch ein kleiner Junge, vom äusserlichen her kaum von den Altersheimbewohnern zu unterscheiden. Dadurch, dass Benjamin in einem solchen Umfeld aufwächst, muss er schneller und unvorbereiteter als jeder andere Mensch erkennen, dass alles Leben und alle Begegnungen vergängliche Momente sind. Alle Freundschaften, die er knüpft, sind bereits nach viel zu kurzer Zeit wieder beendet. Der Tod ist ein ständiger Begleiter. Benjamin begreift dadurch, dass die Zeit, die uns gegeben ist, umso grössere Bedeutung erhält und dass man sie, unabhängig von den eigenen Voraussetzungen, nutzen und geniessen sollte. Ähnlich ist wohl auch folgendes, wunderschönes Zitat seines späteren Freundes Captain Mike - grandios gespielt von Jared Harris - zu interpretieren: "You can be as mad as a mad dog at the way things went. You could swear, curse the fates, but when it comes to the end, you have to let go." So definiert sich Benjamin niemals, obgleich dies wohl der einfachste Weg für ihn gewesen wäre, über seine "Krankheit", sondern darüber was er tut und was nicht: "Your life is defined by its opportunities... even the ones you miss." Und dass auch vermeintlich schlimme Dinge immer auch eine Chance mit sich bringen können, ist eine der hoffnungsvollen Grundaussagen, die wir aus Benjamin Button mit nach Hause nehmen sollten. Wäre Benjamin nicht im Körper eines alten Mannes geboren worden und wäre seine Mutter nicht bei der Geburt gestorben, so wäre er niemals in diesem Altersheim aufgewachsen und hätte wahrscheinlich niemals die Enkelin einer Altersheimbewohnerin kennengelernt, die die Liebe seines Lebens werden sollte. Ob dies Schicksal oder Zufall zu nennen ist, lässt Fincher im Ermessen des Betrachters und ist bei genauerem Überlegen vielleicht sogar irrelevant.


Als Benjamin die zu diesem Zeitpunkt 7 Jahre alte Daisy kennenlernt, sind beide sofort fasziniert voneinander, wenngleich Benjamin's Äusseres dem eines alten Mannes gleicht. Sie verbringen als "Spielkameraden" glückliche Momente miteinander, doch obwohl beide vielleicht schon wissen, dass sie füreinander bestimmt sind, ist ihre gemeinsame Zeit noch nicht gekommen. So bricht Benjamin, immer noch in der Gestalt eines alten Mannes, eines Tages auf, um die Welt zu erkunden. Auf dieser Entdeckungsreise entwickelt der Film viele wundervolle, teils skurrile Momente, wie beispielsweise der erste Bordellbesuch eines scheinbar alten Mannes, der die Prostituierte erschöpft, befriedigt und überrascht zurücklässt oder die wunderbaren Begegnungen mit der erfahrenen Elizabeth - gespielt von der wunderbaren Tilda Swinton - welche aus der Bekanntschaft zu dem faszinierenden Benjamin neue Leidenschaft und Lebenslust schöpft. So vergehen viele Jahre, und während der Kontakt zwischen Daisy und Benjamin niemals ganz abreisst, entwickelt sich Daisy – nun gespielt von Cate Blanchett - zu einer wunderschönen und jungen Tänzerin. Schliesslich kehrt der deutlich verjüngte Benjamin von seinen Reisen und vom Krieg nach Hause zurück, wo sich ihre Wege nach langer Zeit wieder kreuzen. Daisy ist fasziniert von der Veränderung, welche Benjamin in den Jahren durchgemacht hat. Aus dem alten Greis, der sie damals verlassen hat, ist ein charismatischer Mann um die 50 geworden, der auf sie eine seltsame Anziehungskraft ausübt. Benjamin jedoch, von Daisy's perfektem Aussehen und dem immer noch grossen "Altersunterschied" eingeschüchtert, weist Daisy ab, höchstwahrscheinlich aus Angst sie zu enttäuschen. So geht Daisy zurück zu ihrer Tanzgruppe nach Paris, wo später ein schlimmer Unfall ihre Karriere frühzeitig beenden wird. Fincher zeigt diesen Unfall in einer meisterhaften Montage über die Zeit und den Zufall (oder ist es Schicksal?) und verdeutlicht damit, wie vieles in unserem Leben ausserhalb unserer Kontrolle liegt. Es dürfte eine der besten Sequenzen sein, die Fincher in seiner Karriere als Filmemacher bisher gedreht hat. All die wichtigen Kleinigkeiten setzen sich hier zu einem perfekten Ganzen zusammen.

Benjamin bricht sofort nach Paris auf als er vom Unfall erfährt, um Daisy im Krankenhaus zu besuchen. Mittlerweile haben sich die Vorzeichen jedoch geändert. Während Daisy verletzt und gebrochen im Krankenhausbett in Selbstmitleid versinkt und realisiert, dass sie nie wieder die perfekte Tänzerin sein wird, hat Benjamin alle äusseren Anzeichen eines alten Mannes verloren und entspricht nahezu dem Idealbild. Deshalb ist es diesmal Daisy, die Benjamin abweist und nichts von ihm sehen möchte. Erst als sie ihre Traurigkeit überwindet und sich selbst akzeptieren kann, wie es Benjamin zu Beginn seines Lebens auch tun musste, kehrt Daisy nach New Orleans zurück und die beiden finden endlich zusammen und durchleben glückliche Jahre. Die Liebe, die sie seit Ewigkeiten miteinander verbindet, hat endlich alle Hindernisse überwunden und sie zu einer Zeit zusammen geführt, in der sie wie ein normales Pärchen im gleichen Alter wirken. Beiden ist bewusst, dass sie sich von diesem Startpunkt aus wieder in unterschiedliche Richtungen bewegen und dass Daisy eines Tages zur alten Frau und Benjamin zum kleinen Jungen werden wird. Beiden ist die Vergänglichkeit ihrer Situation bewusst und beide wissen aufgrund ihrer Erfahrungen damit umzugehen. So gelingt es ihnen, ihre gemeinsame Zeit und ihre Liebe trotz oder gerade wegen der kurzen Periode, die ihnen zur Verfügung steht, zu geniessen. Jahre später entschliesst sich Benjamin letztendlich dazu fortzugehen um Daisy und ihrer gemeinsamen Tochter ein normales Leben zu ermöglichen.


Die ganze Geschichte würde dabei nicht funktionieren, ohne die herausragenden Spezialeffekte, mit denen der Regisseur das Alter der beiden Hauptdarsteller vor unseren Augen praktisch beliebig zu variieren vermag. Fincher setzt die Effekte dabei subtil und wirkungsvoll ein und schafft das Kunststück, das gewünschte Alter perfekt darzustellen, ohne die Wiedererkennungswerte von Pitt und Blanchett auch nur einmal zu verfälschen. Desweiteren ist der Film durchzogen von erdigen Farben und in manchen Einstellungen hat man das Gefühl, ein Fotoalbum aus Sepia-Tönen durchzublättern. Diese Farbwahl unterstützt zum einen den melancholischen Grundtenor des Films und passt zum anderen perfekt zu dieser historischen Geschichte, die fast das komplette zwanzigste Jahrhundert vom ersten Weltkrieg bis hin zur Gegenwart durchläuft.

Ich hoffe, die vorangehenden Zeilen verdeutlichen, warum ich es als grundlegend falsch und ungerecht empfinde, Fincher's "Der seltsame Fall des Benjamin Button" allein auf eine unkonventionelle Geschichte zu reduzieren, denn der Film weist eine Vielfältigkeit auf, die den meisten Hollywoodproduktionen fremd ist. Er ist Fantasyfilm, Liebesfilm und Drama in einem. Er ist gespickt mit fantastischen, wenn auch zurückhaltenden Spezialeffekten und er lässt den Zuschauer nachdenklich im Sessel zurück. Man denkt nach über die Liebe. Kann sie wirklich alle Hindernisse überwinden? Man denkt nach über Schicksal. Gibt es so etwas? Oder sind wir alle nur ein Spielball des Zufalls? Haben wir unser Leben selbst in der Hand? Welche Bedeutung hat der Tod? Reisst er uns aus dem Leben und all seinen schönen Dingen heraus oder ist das Leben nur deshalb so wunderschön, weil es nicht ewig währt? Ist es schlimm ein Leben wie Benjamin führen zu müssen bzw. ist es schlimm wenn einem Schlimmes widerfährt? Sicher ist es das, doch Benjamin lehrt uns, dass viel weniger das zählt, was mit uns geschieht, als das, was wir daraus machen.

Viele der Fragen, die der Film für mich aufgeworfen hat, versucht Fincher zum Glück nicht zu beantworten, sondern behandelt sie eher als Denkanstösse für den Zuschauer. Ebenso wird wohl nicht jeder Zuschauer zwangsläufig über die selben Fragen nachdenken. Viele werden ganz andere Aspekte entdecken als diejenigen, die ich zu skizzieren versucht habe. Es ist ein Film, der so vielseitig sein kann, wie das Publikum selbst und diese Tatsache macht für mich den besonderen Reiz an diesem Schmuckstück aus.

Freitag, 21. Januar 2011

Black Swan - Das Monster in dir


Darren Aronofsky dreht sicherlich keine leicht verdaulichen Filme. Pi, Requiem for a Dream, The Fountain und The Wrestler. Dies war die bisherige Filmographie dieses so unkonventionellen wie genialen Filmemachers, welcher er nun mit Black Swan ein weiteres dunkles Kapitel hinzugefügt hat. Wieder nimmt er sich das Leben einer Person vor, die ihr ganzes Herz und ihre ganze Leidenschaft einer Sache widmet und droht, sich darin zu verlieren und zu zerbrechen. Dieses Motiv zieht sich durch all seine Werke hindurch, niemals jedoch hat er es uns mit einer solchen Wucht vorgetragen wie nun in Black Swan.

Aronofsky erzählt uns die Geschichte der talentierten Ballettänzerin Nina Sayers gespielt von Natalie Portman. Ein Jahr vor Drehstart begann sie zu hungern und dafür zu trainieren, gegen Ende bis zu 8 Stunden täglich, um die verzweifelte Geschichte von Nina glaubhaft darstellen und 90% der im Film gezeigten Tanzszenen ohne Double drehen zu können. Zweifelsohne ist dies eine Leistung, die mit dem Academy Award enden muss, denn Portman überzeugt die kompletten zwei Stunden in der Darstellung aller psychischen und physischen Facetten einer ambivalenten Figur.

Trotz noch so akribischer Vorbereitung bleibt Portman jedoch eine Schauspielerin, deren körperlichen Fähigkeiten natürliche Grenzen gesetzt sind. Um diese Grenzen zu verwischen und zu verhindern, dass sie den Gesamteindruck des Filmes schmälern, bedarf es eines talentierten Regisseurs, der es mittels gezielt eingesetzten Spezialeffekten versteht, Natalie Portman endgültig vor den Augen der Kinobesucher zur Ballerina werden zu lassen. Dies gelingt schon in den ersten Sekunden des Films, als der Zuschauer die grazil tänzelnden Füße einer perfekt ausgebildeten Primaballerina sieht. Man erwartet förmlich den ersten Schnitt um dann eine Großaufnahme von Portman's Gesicht zu sehen, die den Eindruck erwecken soll, dass Portman diesen perfekten Tanz auf das Parkett zaubert. Dies ist das erste und sicher nicht das letzte Mal, dass der Film dem Zuschauer den Atem raubt. Denn anstatt diesen einen entscheidenden Schnitt zu setzen, fährt die Kamera langsam nach oben und zeigt schließlich Natalie Portman in der Totalen. Aronofsky erreicht dadurch, obgleich es „nur“ einem Spezialeffekt zu verdanken ist, dass der Zuschauer Portman die Rolle von Anfang an ohne jeden Zweifel abkauft und sofort in die Geschichte hineingezogen wird.

Diese Geschichte nimmt ihre verhängnisvolle Wendung als Nina nach langem Warten ihre erste Hauptrolle als Schwanenkönigin in einer Neuinterpretation von "Schwanensee" erhält. Hierbei soll sie die Doppelrolle von Odette und Odile spielen. Auf der einen Seite Odette, eine junge unschuldige Prinzessin, die in einen weissen Schwan verwandelt wurde und nur durch die wahre Liebe erlöst werden kann. Auf der anderen Seite Odile, das dunkle, verführerische Ebenbild der unschuldigen Prinzessin. Dass Nina dazu in der Lage ist, die unschuldige Odette perfekt zu verkörpern, daran gibt es weder für den Zuschauer, noch für den von Vincent Cassel verkörperten Ballettmeister Thomas aufgrund Portman's sensationell subtiler Performance der zu Beginn zurückhaltenden und schüchternen Ballerina keinen Zweifel. Allerdings scheint sie zu prüde und introvertiert um die verruchte Odile überzeugend darstellen zu können. Trotz seiner Zweifel besetzt Thomas diese Doppelrolle mit Nina, da er in ihr etwas sieht, was Aronofsky dem Zuschauer zu Beginn nur andeutet. Wenn Nina beispielsweise in der U-Bahn steht und die Kamera von hinten auf ihr dunkles Spiegelbild fällt, so sind das zweifelsfrei nicht einmal unbedingt sehr subtile Hinweise auf das düstere Potential welches in Nina lauert.

Um dieses Potential zu wecken bedarf es jedoch der Ensemble-Newcomerin Lily (Mila Kunis), die nicht nur wegen den Tätowierungen auf ihrem Rücken in Form von grossen schwarzen Flügeln die perfekte Verkörperung von Odile zu sein scheint. Es ist wohl eine Kombination aus Aufbegehren gegen die von Ehrgeiz zerfressene, tyrannische Mutter, der Faszination an Lily's lasziver Seite und der grossen Angst von Lily im Kampf um die Rolle der Schwanenkönigin doch noch ausgestochen zu werden, welche letztendlich dazu führt, dass Nina sich immer mehr verwandelt. Auf der Suche nach Perfektion, nach der vollkommenen Darstellungen des schwarzen Schwans, verliert sie sich immer mehr in Wahnvorstellungen, was Aronofsky mit teilweise drastischen Bildern deutlich macht. Auch die ehrgeizige Mutter erkennt die beängstigende Verwandlung und versucht Nina am Premierenabend, vielleicht zum ersten Mal aus Sorge um das Wohlergehen ihrer Tochter, in ihrem Zimmer einzuschliessen. Es ist ein letzter verzweifelter, zum Scheitern verurteilter Versuch, das liebenswerte Geschöpf, welches Nina einst war, zurückzuholen und zu beschützen.

Welche von Aronofsky's Bildern letztendlich noch der Wirklichkeit entsprechen und was sich Nina in ihrem Wahnsinn nur einbildet, ist spätestens dann irrelevant wenn sich Nina bei der Premierenfeier auf der Bühne in den tanzenden schwarzen Schwan verwandelt. Dies geschieht freilich nur in Nina's Fantasie, jedoch ist diese Fantasie längst zu ihrer Realität geworden. Dieser fulminante und perfekt inszenierte Höhepunkt verdeutlicht, dass sie die notwendige Metamorphose abgeschlossen hat um die Doppelrolle perfekt zu meistern. Zu welchem Preis und mit welchen Mitteln sei hier nicht verraten, aber wir wissen, dass nicht jeder Held von Aronofsky erkennt, wann er umkehren sollte.

Black Swan ist ein düsteres und bedrückendes Meisterwerk eines Regisseurs, der auf dem Höhepunkt seines Könnens angekommen zu sein scheint. Sicherlich nicht ein Film für jedermann, aber zweifelsohne ein Film für mich und alle Aronofsky Fans da draussen.

Dienstag, 11. Januar 2011

Meine Top-Ten 2010

Nachdem uns Roman bereits mit einem fantastischen Beitrag zu einem ebenso fantastischen Film erfreut hat, wollte ich ebenfalls wieder einen kleinen Beitrag leisten. Alternativ zu einer Review eines einzelnen Films habe ich mir über das Kinojahr 2010 meine Gedanken gemacht. Ich hoffe, dass daraus wieder hitzige Diskussion und weitere Listen entstehen werden. Also: Verflucht mich, stimmt mir zu oder geniesst einfach die völlig subjektiven Eindrücke eines Filmfans! Und ja, "The Social Network" hat es mit voller Absicht nicht in die Top-Ten geschafft. Fincher ist ein grosser Filmemacher, aber eine perfekte Inszenierung vermag eine wenig fesselnde Geschichte nicht zu retten.

10. Kick-Ass

Im Kino habe ich diesen Knaller leider verpasst. Der BluRay-Blindkauf auf Robbies Empfehlung hin war jedoch eine meiner besten Entscheidungen des Jahres. Unglaublich witzige, wenn auch moralisch etwas fragwürdige Comicverfilmung, die zwei Stunden wie im Flug vorbei gehen lässt.
9. Moon
Keine Ahnung, ob dieses Schmuckstück überhaupt einen deutschen Kinostart hatte. Nichtsdestotrotz verdient Sam Rockwell´s Performance in jeder Top Ten Liste ihren Ehrenplatz!

8. Brothers
Ein grosser Verfechter von Natalie Portman war ich schon lange, aber seit Brothers muss ich zugeben: Auch Tobey Maguire hat den Spiderman 3 Rückschlag überwunden und ist zurück auf dem Niveau von „Gottes Werk und Teufels Beitrag“.

7. Toy Story 3
Meiner bescheidenen Meinung nach nicht der beste animierte Film des Jahres, aber technische Perfektion, viele witzige Einfälle und eine gut durchdachte Story sichern diesem Pixar-Kracher seinen Platz in den Top Ten.


6. Buried
Ryan Reynolds’ 90-Minute-One-Man-Show offenbart nicht für möglich gehaltenes schauspielerisches Talent und beweist wieder mal, dass mehr als eine Location für einen guten und spannenden Film nicht nötig ist! Dabei wird das Konzept, welches Hitchcock beispielsweise auch schon in "Das Fenster zum Hof" verwendete, auf die Spitze getrieben und das Setting auf einen Sarg beschränkt.



5. Invictus
Für mich einer der inspirierendsten Filme, die ich kenne. Morgan Freeman ist eine schauspielerische Sensation als Nelson Mandela. Unbedingt in OV schauen!


4. Tangled

Etwas wofür mich viele steinigen werden: Tangled landet vor Toy Story 3. Für mich stimmt bei dem Film fast alles. Sympathische Charaktere bis in die kleinsten Nebenrollen, super Witze, eine gute Message und ein bisschen Romantik machen diesen Film zu einer wahren Perle für Gross und Klein!


3. Shutter Island
Gebt dem guten Leo doch endlich seinen Oscar!!! Wieder mal eine super Performance in diesem von Scorsese als B-Movie-Hommage gedrehten Mystery-Thriller, der auch unter dem CinemaRoRoO-Team interessante Diskussionen auslöste.


2. Scott Pilgrim vs. the World
Vielleicht lag es auch ein bisschen an der Art und Weise meines Kinobesuches (ich war der einzige Besucher im Kinosaal), aber selten habe ich mich während eines Kinoabends so sehr amüsiert! Die wohl innovativste Comicverfilmung, die ich bis jetzt erleben durfte. Und noch tausendmal mehr als das. Da ich es selbst nicht besser ausdrücken könnte, will ich hier auf ein Zitat des Spiegel zurückgreifen: "… bei aller schwindeligen Exaltiertheit hat 'Scott Pilgrim' mehr über Liebe, Freundschaft und die Widrigkeiten des Jungseins zu sagen als die meisten ausgewachsenen Melodramen. Er sagt es nur schneller und lauter, denn sein Himmel hängt voller Gitarren statt Geigen."


1. Inception
Ich hatte keine Wahl. Dieser Film drängt sich so sehr für die Pole Position auf, dass es eine Sünde gewesen wäre, einen anderen Film zu nennen! Mehr will ich hierzu nicht sagen, denn egal was ich über diesen Film schreibe, es würde ihm nicht gerecht werden.


(The) Fantastic Mr. Fox – „pure wild animal craziness“



Was tun, wenn man in einer scheinbar aussichtslosen und lebensbedrohlichen Situation erfährt, dass die eigene Frau Nachwuchs erwartet? Genau, man verspricht sein Leben von Grund auf zu ändern, hofft darauf, dass man den Kopf noch einmal aus der Schlinge ziehen kann und gräbt. So zumindest macht es Mr. Fox (Stimme: George Clooney), nachdem er und Felicity (Stimme: Meryl Streep), Mrs. Fox, auf Beutezug in einer Geflügelzucht der Fuchsfalle auf den Leim gegangen sind. Beide kommen mit dem Schrecken davon. Aber von nun an ist Mr. Fox dazu verdonnert ein solides Leben zu führen. Gefahr, Nervenkitzel und Risiko ade, speziell nach der Geburt von Ash, dem durchweg unbegabten Fuchssprösslings.

Hier beginnt die eigentliche Geschichte von „Fantastic Mr. Fox“. Zwar bemüht sich der neugebackene Familienvater (dessen Vornamen wir nie erfahren), sein neues gutbürgerliches Leben bestmöglich zu meistern, der Wunsch zur Veränderung der Wohnsituation, raus aus dem unterirdischen und armseligen Fuchsbau – „it makes me feel poor“ –, rein in einen Baum mit wunderschöner Aussicht, ist jedoch nur ein Indiz für die persönliche Unzufriedenheit des gebildeten und philosophierenden – „who am I?“ – Herrn Fuchs. Ein Anflug von Midlifecrisis? Womöglich, nach gut sieben Jahren Fuchsleben. Der Umzug, der als vermeintliche Lösung daherkommt, ist dann schließlich der Anfang vom Ende. Seine Natur, ein wild-animalischer Trieb, kommt Mr. Fox in die Quere und verleitet ihn dazu einen Masterplan auszuarbeiten, um die drei nahegelegenen Landwirte ihrer Erzeugnisse zu erleichtern. Dieser letzte Coup soll ihm selbst noch einmal beweisen, dass er sein früheres Handwerk noch immer beherrscht. Das riecht natürlich nach Ärger und es kommt wie es kommen muss: Buggis, Bunce und Bean sinnen auf Rache und wollen dem diebischen Reineke den Garaus machen. Doch die Tierwelt, unter der Führung von Mr. Fox, lässt sich selbst von einem abgeschossenen Schwanz, vulkankraterähnlichen Ausgrabungsversuchen oder einer Cider-Überschwemmung nicht entmutigen und schlägt mit geballter Cleverness zurück, um den Menschen ihre Grenzen aufzuzeigen.

„Fantastic Mr. Fox“, Wes Andersons erster Animationsfilm, zeichnet sich durch eine extrem liebevolle und detaillierte Annäherung an die Kinderbuchvorlage von Roald Dahl – „James and the Giant Peach“, „Charlie and the Chocolate Factory“, „Matilda“ oder „The Gremlins“ – aus. Tausende von Miniatursets wurden kreiert, Kostüme entworfen und etliche mit Echthaar versehene Puppen gebastelt. Um ein besseres Gefühl für den Entstehungsort der literarischen Vorlage und das Umfeld des Autors zu bekommen, besuchten Anderson und Noah Baumbach zum Drehbuchschreiben sogar Dahls Gypsy Haus und ließen fast das komplette Inventar in klein für den Film nachbauen. Diese Akribie – etwa 24 Stunden reine Dreharbeit für 30 Sekunden Film – sieht man jeder Sequenz des Films an. Andersons Liebe für Außenseitercharaktere, die er in Filmen wie „Tiefseetaucher“, „The Royal Tenenbaums“ und dem von mir hochgeschätzten „Darjeeling Limited“, ist auch in „Mr. Fox“ deutlich wiederzuerkennen und lässt beim Zuschauer eine Mischung aus Mitleid und komischer Verbundenheit entstehen. Der warme Look und die unzähligen (nicht zu erahnenden) Ausdrucksmöglichkeiten durch minimale Fellmodulation untermauern diesen Eindruck. Da haben wir das regelmäßig angstgeschockte Opossum Kylie (Stimme: Walace Wolodarsky), den nichtsnutzigen Jungfuchs Ash (Stimme: Jason Schwartzman), den Bean-Sicherheitschef Rat (Stimme: Willem Dafoe), der nur einmal in seinem Leben einen Schluck Cider kosten möchte, oder Mr. Fox selbst, der an seiner Rolle als verantwortungsbewusstes Familienoberhaupt zu scheitern droht. Nicht jeder ist zum Helden geboren, scheint uns Anderson zurufen zu wollen, doch jeder kann über sich hinauswachsen, wie uns Ash in seinen großen 30 Sekunden beweist, als er einen tollwütigen Beagle auf die schießwütige Menschenmeute hetzt.

Am imposantesten und lustigsten sind für mich jedoch die Szenen, wenn die sonst so kultivierten, domestizierten und bürgerlichen Tiere aus ihrer Haut fahren und die animalische Seite in ihnen durchkommt. Beispielsweise wenn Mr. Fox und Badger (Stimme: Bill Murray) über den Kauf des Baums in Streit geraten. Gefletschte Zähne, gezückte Krallen und ein aggressives umeinander Kreisen ist das Ergebnis einer solchen Ausnahmesituation, die kurz andauert ehe die Vernunft das Animalische wieder in den Griff bekommt. Hier muss ich immer wieder Schmunzeln und bin überrascht, obwohl ich die Szene schon etliche Male gesehen habe. Auch die Tischgewohnheiten, wenn Mr. Fox für Augenblicke seine gute Manieren vergisst, sein Essen zerreißt und in sich hinein schaufelt, um dann wieder in aller Seelenruhe seinen Kaffee(?) zu schlürfen, sind klare Indizien für seine innere Zerrissenheit. In den beschriebenen Situationen steckt die eigentliche Essenz des Films, der viel mehr als wunderbare, warmherzige und extrem lustige Familienunterhaltung ist. Es geht darum, ob wir unsere eigene Natur verleugnen können/dürfen bzw. inwieweit das für uns gut ist. Es geht um Freundschaft, Zusammenhalt und darum, das Beste aus jeder Situation zu machen sowie sich in seiner eigenen Haut zu akzeptieren. Auch das menschliche Verhalten gegenüber der Natur – die Tierwelt ist durch und durch typisch menschlich gezeichnet – ist ein wichtiger Bestandteil des Films, abseits von zu offensichtlichen und gewollten Ökobotschaften. Entgegen der deutlich erkennbaren Menschlichkeit der Tiere, sehen wir aber auch einen Fuchs, der nichts anders tut als seiner Natur nachzugeben indem er seinem Jagdtrieb nachgeht. Durch die Ausbreitung des Menschen nimmt sein natürliches Habitat jedoch kontinuierlich ab, wodurch er gezwungen wird,sich mit der gegebenen Situation zu arrangieren. Endgültig angepasst sind die Tiere dann in der letzten Szene, als sie den Supermarkt übernehmen und die Vielfalt ihres neu gewonnenen Nahrungsangebots feiern. Zwar geht der Zuschauer mit einem positiven Gefühl aus dem Film – die Tiere tanzen ja schließlich vor Freude –, fraglich ist aber, ob das Lächeln von Mr. Fox nicht nur ein erneuter Kompromiss ist. Die Tiere müssen von nun an unterirdisch Leben – inklusive Grundstücksspekulationen – und sind auf von Menschen produzierte Nahrungsquellen angewiesen. Sie haben sich zwar mit der vorgegebenen Situation abgefunden, um nicht vollständig verdrängt, das heißt ausgelöscht zu werden, die von Mr. Fox vormals aber so verehrte Natur – er zieht anfangs mit Mrs. Fox den schöneren dem kürzeren Heimweg vor – ist weit und breit nicht mehr zu sehen. Doch die Hoffnung stirbt zuletzt und Foxi hat den Glauben nicht aufgegeben, dass es mehr als das reine Überleben geben kann:

„They say our tree may never grow back, but one day something will.” (Mr. Fox)

Mit „Fantastic Mr. Fox“ ist Wes Anderson und seinen 29(!) Filmunits ein unvergessliches Stück Filmgeschichte gelungen. Roald Dahls Vorlage wird die größte Ehre erwiesen, indem den Figuren durch viel Zuneigung und Engagement eigenes Leben eingehaucht wird. Leider ging der Film 2009 im (berechtigten) Hype um „Up“ etwas unter, erhielt aber (ebenfalls berechtigt) durchweg gute Kritiken und jeweils eine Oscar-Nominierung für den besten Animationsfilm und den besten Soundtrack. Mich hat „Fantastic Mr. Fox“ tief berührt. Einige Gründe dafür habe ich versucht oben zu erläutern. Das wohl wichtigste blieb aber bisher unausgesprochen: „Fantastic Mr. Fox“ überträgt die Leidenschaft des Filmemachens in jeder Sekunde seiner Spielzeit auf den Zuschauer und rechtfertigt die aufgebrachte Zeit indem er eine fabelhafte, fantastische Geschichte erzählt.